Alle verwandeln sich

KAFKA-KLASSIKER Immer wieder inszeniert der ungarische Regisseur Viktor Bodó Texte Franz Kafkas. Nun wagt er sich im Malersaal des Schauspielhauses an dessen berühmteste Erzählung „Die Verwandlung“

„Ich fühle mich zu Hause in dieser skurrilen Welt“

Regisseur Viktor Bodó

VON KATRIN ULLMANN

Es ist einer der meist zitierten, analysierten und diskutierten Anfangssätze der deutschsprachigen Literatur: „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“ 1912 ist Franz Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ entstanden – und hat seitdem Generationen von Theaterregisseuren herausgefordert. Rund ein Jahrhundert später steht sie wieder überall auf dem Programm.

Auf die Bühne im Malersaal des Schauspielhauses bringt jetzt der ungarische Regisseur Viktor Bodó seine Version. Vom ebenfalls ungarischen Theaterautor und Regisseur Péter Kárpáti hat er sich eigens eine Bühnenfassung schreiben lassen – eine sehr freie Adaption mit dem Titel „Ich, das Ungeziefer“.

Auf deutschsprachigen Bühnen ist Bodó seit Jahren gefragt, inszeniert in Berlin, Heidelberg, Köln, Basel oder Graz. Immer dabei ist seine 2008 gegründete, am kleinen Budapester Theater MU Sinhasz beheimatete Theaterfamilie „Szputnyik Shipping Company“: Ein Theaterlabor irgendwo zwischen Slapstick und Situationskomik, immer rasant, skurril, schrill – und präzise choreografiert. 2010 wurde Bodó mit seiner live per Handycam mitgefilmten Handke-Adaption „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“ – eine „multimediale Symphonie ohne Worte“ – am Schauspielhaus Graz zum Berliner Theatertreffen eingeladen.

Immer wieder theatralisiert Bodó seinen Lieblingsautor Kafka. „Ich fühle mich zu Hause in dieser skurrilen Welt, die für uns Osteuropäer eine tägliche Erfahrung ist“, sagt er. Und: „Kafkas Welt erlaubt mir, mit verschiedenen Theatermitteln frei umzugehen.“ 2004 entstand am Budapester Katona-József-Theater seine viel beachtete Inszenierung „Gehacktundverschwunden“ – frei nach Kafkas Erzählung „Der Prozess“. 2007 inszenierte Bodó „Das Schloss“ und 2012 „Amerika“ am Schauspielhaus Graz.

Die „Verwandlung“ auf die Bühne zu bringen, ist schon lange ein Wunsch des Ungarn. „Sofort daraufgestürzt“ habe er sich, als ihm das Hamburger Schauspielhaus die Gelegenheit dazu bot. Die Verwandlung, die unfreiwillige Metamorphose, sei schließlich „das Grundmotiv unseres Lebens“, findet Bodó.

Aber wie bringt man die oft vage Erzählung auf die Bühne? Unzählige Literaturwissenschaftler haben sich über „Die Verwandlung“ die Köpfe zerbrochen: Ist dieser Gregor Samsa, dem Kafka den „anstrengenden Beruf“ eines Handlungsreisenden zuschreibt, nun ein Systemverweigerer? Einer, den das „frühzeitige Aufstehen“ und die „Plage des Reisens“ verwandelt hat? Einer, der sich dauerhaft krankmeldet, in der Gesellschaft einen Rückzugsort, eine Nische sucht? Ist der Text also eine autobiografische Aufarbeitung?

Oder war dieser Gregor Samsa schon immer ein ebenso Ekel erregendes wie faszinierendes Insekt – „eine Kreatur des Chefs, ohne Rückgrat und Verstand“? Ist die Verwandlung also gar keine wirkliche Verwandlung?

Um diese Fragen beantworten zu können, müsse er so lange reden, wie die Vorstellung dauert, antwortet Bodó. „Ich will nur sagen: Für mich ist Gregor Samsa nicht das einzige Opfer einer Verwandlung, hier verwandeln sich auch alle anderen.“

Da die Erzählung kaum dramatische Elemente bietet und – abgesehen von den Mitgliedern der Familie Samsa – kaum ausgearbeitete Figuren hat, „haben wir“, so der Regisseur, „noch einige weitere Personen – den Prokuristen aus der Erzählung, eine Hutmacherin, einen Arzt und eine geheimnisvolle weitere Figur in die Wohnung der Samsas einziehen lassen. Sie stammen aber alle aus der Kafka-Welt.“

Und das Insekt selbst? Bei der Buchausgabe der „Verwandlung“ im Jahre 1915 wehrte sich Kafka vehement gegen den Gedanken, den Buchtitel mit einer Illustration versehen zu lassen. „Das Insekt selbst“, schrieb er an den Kurt-Wolff-Verlag, „kann nicht gezeichnet werden. Es kann aber nicht einmal von der Ferne aus gezeigt werden.“ Aber kann es auf der Bühne gezeigt werden? Wie wird es dort dargestellt? Verraten will Bodó es nicht: „Die Zuschauer werden es selber sehen.“

■ Premiere: Sa, 10. 1. Malersaal; weitere Aufführungen: So, 11. 1., Mo, 12. 1., Di, 13. 1., Do, 15. 1.