Aufbruch im Problemviertel

Die Hochhaussiedlung Osdorfer Born ist mehr als ein Problemviertel zwischen Blankenese und Lurup. Das Programm „Soziale Stadt“ hat dem schlechten Image den Kampf angesagt und hat Erfolg

Der Fall bekam eine zusätzliche Brisanz, da sich die Tat am Osdorfer Born abspielte. Sie hätte sich aber in jedem anderen Hochhaus ereignen können. Ab Dienstag muss sich die 27-jährige Polin wegen Totschlag und falscher Anschuldigung vor dem Landgericht verantworten. Ihr wird zur Last gelegt, am 17. März gegen 10.15 Uhr – nur 30 Minuten nach ihrer Selbstentbindung – ihr Kind in eine Plastiktüte gepackt und aus dem 10. Stock des Hochhauses Achtern Born geworfen zu haben. Das Baby erlitt tödliche Schädel- und Hirnverletzungen. Nach kurzer Flucht stellte sich die Mutter der Polizei und bezichtigte zunächst durchaus glaubhaft ihren türkischen Freund der Tat. KVA

VON UTA GENSICHEN

Der Osdorfer Born ist mehr als ein Problemviertel oder ein brodelnder Nationalitätenkessel. Seit vor sieben Jahren das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ in der Gegend zwischen Blankenese und Lurup begann, hat sich hier einiges getan. „Die Menschen haben sich früher vergessen gefühlt von der Kommunalpolitik und waren apathisch“, sagt der Quartiersmanager Wolfgang Oehler. Es herrsche hier eine Spirale aus Arbeitslosigkeit, Integrationsproblemen und Gewalt. Kein Wunder, leben doch 13.000 Borner auf gerade einmal 0,7 Quadratkilometern miteinander. „Wir haben hier fast 70 unterschiedliche Nationen“, sagt Oehler. Wenn Menschen vom gesamten Globus aufeinandertreffen, sind Spannungen vorprogrammiert. Kommen soziale Missstände und mangelnde Integrationsbemühungen dazu, ist der Abrutsch eines Viertel fast nicht mehr aufzuhalten.

Nichtborner denken bei so einem Ruf nur an die Bilder von grauen, 21-stöckigen Hochhäusern, an herumlungernde Jugendliche oder an den Tod eines Neugeborenen, das im März in Osdorf aus dem Fenster eines Hochhauses geworfen wurde (siehe Kasten).

Doch es gibt Menschen, die etwas gegen das Negativimage ihres Viertels tun wollen. „Wir können die Welt nicht retten“, sagt Oehler über seine Initiative im Stadtteilbüro, „aber wir können sie wenigstens verbessern.“ Und eine Besserung ist im kinderreichen Osdorfer Born sehr wohl zu spüren. „Die Borner machen jetzt aktiv mit, sie gehen in die politischen Ausschüsse und organisieren sich selbst“, sagt Oehler. Der Aufbau einer gesunden Zivilgesellschaft schlägt hier erste Wurzeln.

Manch einen bewahrt die aktive Mitarbeit an der Umgestaltung des Stadtteils vor der Einsamkeit. „Ich bin Mitglied der Borner Runde und betreue eine ältere Dame, die aus Russland kommt“, sagt Gerhard Schneider. Dabei ist Schneider selbst bereits 77 Jahre alt. Seit 1971 wohnt der gebürtige Berliner am Rande von Born und gehört damit zur so genannten ersten Generation. „Es lebt sich hier anjenehm“, sagt der Witwer im berlinerischen Ton. Das Eigenheim Schneiders symbolisiert die idyllische Seite Borns. Es steht in einer grünen Reihenhaussiedlung, wo Kinder noch in Ruhe auf der Straße spielen können.

Geht man auf einem der mit hohen Hecken eingerahmten Gehwege, hört man das Geräusch von knirschenden Eicheln unter den Schuhsohlen. Auch das ist Born. Will Gerhard Schneider das Gemeindezentrum am Born-Center besuchen, kommt er sogar an einem großartigen Bild vorbei. Das größte Graffiti der Welt wurde nämlich nicht in der Bronx gesprüht, sondern an eine 43 Meter hohe Hauswand im Osdorfer Born. Im Schatten der Bäume ist das Bild, das im Guinnessbuch der Rekorde steht, fast unscheinbar.

Viel mehr Aufmerksamkeit ziehen dagegen die sechs älteren Herren auf sich, die es sich an einem Tisch im gegenüberliegenden Park gemütlich gemacht haben. Tief versunken in ihr Kartenspiel murmeln die Männer Sprachfetzen in ihre Karten, auf Russisch. Einige Meter weiter hängen zwei türkische Jugendliche an einem Bolzplatz herum und unterhalten sich lautstark. Die Vielfalt der Nationalitäten ist an jeder Straßenecke spürbar – das ist das Los, aber auch zugleich das Besondere Borns.

Weniger attraktiv hingegen ist die Anbindung Borns an das Hamburger Verkehrsnetz. Noch im Jahr 1974 sollte der Stadtteil an das U-Bahn-Netz angeschlossen werden. Kurz vor Baubeginn jedoch strich der damalige Senat das Projekt. Der Born ist deshalb auch in Zukunft nur mit dem Bus zu erreichen. Von solchen Makeln lässt sich Quartiersmanager Wolfgang Oehler aber nicht entmutigen. „Wir haben so viel geschafft“, sagt er über das Projekt „Soziale Stadt“. Neben dem Kindermuseum, dem internationalen Frauenfrühstück und dem Stadtteilverein ist für Oehler besonders das geplante Bürgerhaus ein Vorzeigeobjekt seiner Arbeit. Community Center nennt er das Haus, das nahe des Borncenters gebaut werden soll. Darin sollen sich mehrere Vereine und das Stadtteilbüro unter einem Dach zusammenfinden. „Und es wird einen Veranstaltungsraum geben mit Platz für über 400 Menschen“, sagt Oehler. Nur der Senat muss dem Traum vom eigenen Bürgerhaus noch zustimmen, dann können die Bauarbeiten beginnen. „Aber das kommt zu 95 Prozent“, verspricht der Quartiersmanager.

Noch sicherer als der Bau des Community Centers ist das Ende des Projektes „Soziale Stadt“. „Dabei brauchen wir eine nachhaltige Verstetigung“, sagt Oehler. Denn trotz der Aufbruchstimmung in Born sind Probleme wie Analphabetismus, Kinderarmut und Gewalt noch lange nicht gelöst. Oehler: „Das hier ist eine Angelegenheit der öffentlichen Hand.“ Am Ende des Jahres laufen die Investitionen von Bund und Kommune in die Wohn- und Lebensbedingungen Borns aus. „Ich habe Angst, dass danach alles zusammenklappt“, sagt der Ur-Borner Gerhard Schneider.