Kollektiv gegen Kommerz

INTERVENTIONEN Sie haben den Palast der Republik erobert und das aufblasbare Küchenmonument erfunden. Seit 15 Jahren agiert das Architektenkollektiv Raumlabor Berlin an der Schnittstelle von Kunst, Architektur und Politik

VON UWE RADA
(TEXT) UND DAVID OLIVEIRA (FOTO)

Die Aktivisten kamen in der Nacht, kurz danach das Bekennerschreiben. Darin das abgesägte Ohr einer Werbestatue von Philip Johnson, Stararchitekt aus den USA, der am Checkpoint Charlie für einen US-Investor ein Bürohaus bauen sollte. „Architektur muss brennen“, forderten die Ohrabschneider und gifteten gegen die Investorenarchitektur, die sich überall breitmache. Eine urbane Intervention, bevor es diesen Namen überhaupt gab.

Damals, Mitte der neunziger Jahre, hätte man eher gesagt: eine Spaßguerillaaktion. Auf jeden Fall radikal, politisch, subversiv, ein linker Weckruf. Wenig später reckte sich die Reclaim-the-streets-Bewegung, die mit überfallartigen Flashmobs gegen die Privatisierung des öffentlichen Raums protestierte. Es war eine Zeit der weitgehend klar verteilten Rollen: Die Architekten bauen, die Architekturkritiker kritisieren, die Künstler schlagen sich auf die Seite der Kritik. Urbanität war damals noch ein Wort, das vor allem Investoren in ihren Katalogen benutzten. Alle anderen sprachen von einer lebendigen, gemischten Stadt, die es zu verteidigen galt.

Heute gibt es diese Stadt nicht mehr, dafür jede Menge künstliche Urbanität. Wie soll man aber in einer Stadt intervenieren, die an vielen Stellen so geworden ist wie in den Hochglanzbroschüren versprochen? In einer Stadt, in der jedes radikale Statement sowohl die Handschrift kritischer Aktionisten als auch der Werbewirtschaft tragen kann? Nicht zu Unrecht weist der Designtheoretiker Friedrich von Borries, der an der Hochschule für bildende Künste Hamburg ein Forschungsprojekt zu urbanen Interventionen leitet, darauf hin, wie diese inzwischen selbst vom Stadtmarketing gekapert würden. Von Borries’ These: „Vielleicht sollten wir den Mythos aufgeben, eine urbane Intervention sei zwischen politisch links und subversiv.“

Berliner Exportschlager

Raumlabor würden dem wohl widersprechen. Seit 15 Jahren schon interveniert die Architektengruppe in Debatten über die Fragen des Städtischen. Zuerst mit einem Projekt in der Großsiedlung Halle-Neustadt, dann mit der „Berg“-Skulptur bei der Zwischenpalastnutzung, zuletzt mit der aufblasbaren Blase „Küchenmonument“ an der Berlinischen Galerie. Dazu kommen inzwischen unzählige Projekte im Ausland. Raumlabor ist ein Berliner Exportschlager in Sachen urbane Intervention.

In den 15 Jahren seines Bestehens hat Raumlabor den ganzen Wandel der Aktionsformen und Themen erlebt. Von der Verteidigung des öffentlichen Raums bis zur Zwischennutzung von Brachen und leer stehenden Gebäuden. Von der Metamorphose der Raumpioniere zu Raumunternehmern, wie am Beispiel der Bar 25 und des KaterHolzig. Sie mussten erleben, wie selbst Konzerne wie BMW ein „Guggenheim Lab“ sponsern. Oder wie der Senat – zusammen mit der privaten Deutsche Wohnen – einen „Urban Intervention Award“ auslobt.

Raumlabor ist auf diese Trends nur selten aufgesprungen. Vielmehr antworteten sie auf die zunehmende Kommerzialisierung der Kunst im Stadtraum mit einer kollektiven Struktur. Es gibt keine individuellen Autorenschaften, alle Projekte tragen den kollektiven Stempel Raumlabor. Das grenzt den Egoismus ein und zwingt zum Kompromiss.

Auch ist der Gruppe ein ausgeprägter Sinn fürs Publikum geblieben. Alles, was Raumlabor baut, hinstellt, aufbläst, ist ein kommunikativer Raum, in dem Menschen zusammenkommen und sich reiben können. Kollektiv statt Kommerz, Kommunikation statt Konsum.

Ganz anders dagegen die Projekte, die beim letzten „Urban Intervention Award“ ausgezeichnet wurden. In der Kategorie „gebaut“ wurde ein Vorlesungsgebäude der Uni Lüttich ausgezeichnet, ein Bau, der auch in jeden normalen Architekturwettbewerb passen würde. In der Kategorie „temporär“ fiel die Wahl immerhin auf ein ungewöhnliches Projekt, das mit neuen Wegeführungen die Revitalisierung der Rotterdamer Innenstadt befördert. Wobei auch da der Fokus eher auf „Revitalisierung“ als auf „ungewöhnlich“ liegt.

So gibt es also tatsächlich ganz unterschiedliche Vorstellungen von dem, worin man eingreifen will. Ganz frei davon waren auch die Aktivisten nicht, die 1995 das Metallohr von Philip Johnson klauten. Statt zu brennen, erlebte die Friedrichstraße kurz darauf ihren Nachwendeboom.

Fünf Beispiele urbaner Intervention SEITE 44, Bürobesuch bei Raumlabor SEITE 45