Vergangene Verhältngisse

Zum literarischen Saisonauftakt im LCB lasen Autoren, die sich mit Rekonstruktionen von Biografien befassten. Das wäre spannend gewesen, hätten die Moderatoren den Stoff besser vermittelt

VON WIEBKE POROMBKA

Das Licht im Literarischen Colloquium war mal wieder so grell, als sollte eine Operation am offenen Herzen durchgeführt werden. Aber so fühlt es sich für einen Autor vielleicht auch an, wenn er sich mit seiner neuesten literarischen Veröffentlichung vors Publikum wagen muss. Fünf Berliner Autoren waren es diesmal beim traditionellen „Saisonauftakt“ des LCB am Wannsee, die ihre druckfrischen Bücher präsentierten. Zehn Minuten Gespräch mit dem Moderatorenteam, zehn Minuten Lesung für jeden: das sind die altbekannten Regeln dieses zweimal jährlich stattfindenden Abends, der Appetit machen soll auf die neuen Bücher aus den Herbstprogrammen der Verlage.

Die ganz großen Publikumsmagneten fehlten diesmal: Mit Larissa Boehning und Katja Oskamp stellten zwei junge Autorinnen ihren Debütroman vor, neben ihnen ein Trio älterer Herren, bestehend aus Jens Sparschuh, Richard Wagner und dem eher Insidern bekannten Friedrich Kröhnke. Diese Mischung hätte einen interessanten Abend ergeben können, weil sich bei aller Verschiedenheit eine auffallende Linie durch die fünf vorgestellten Bücher zieht. Allesamt sind es erzählerische Rekonstruktionen von Biografien, Reflexionen über vergangene familiäre oder Liebesverhältnisse, die nicht nur sehr persönlich anmuten, sondern zum Teil auch tatsächlich autobiografischen Hintergrund haben.

So auch im Fall von Katja Oskamp, deren beglückend schnoddrige Herzhaftigkeit, mit der sie auf die Fragen von Moderator Frank Meyer antwortete, auch ihren Roman „Die Staubfängerin“ prägt. Erzählt wird eine Episode aus dem Leben von Tanja Merz, die man als Alter Ego Oskamps schon aus ihrem ersten Erzählungsband, „Halbschwimmer“ (2003), kennt. Ehe sie sich versieht, tauscht Tanja – mittlerweile Regieassistentin am Theater – die Probebühne mit einem Reihenendhaus in der Vorstadt. Zur manischen „Staubfängerin“ mutiert sie, als der Arzt ihr einschärft, für ihre zu früh geborene Tochter sei Hygiene absolut lebensnotwendig. Und so sieht man Tanja fortan mit Staubsaugervertretern über heimische Teppiche und Matratzen kriechen und im Minutentakt braune Tapser von den Fliesen wischen. Das könnte nach jener Sorte Frauenliteratur klingen, von der man besser die Finger lässt. Ist es aber ganz und gar nicht. Oskamps Roman erzählt verdammt viel über die Abgründe des Lebens. Und knallkomisch ist er dazu.

Trotz Oskamps Vortrag und trotz des alten Lesungsprofis Jens Sparschuh, der im gewohnten Sozialkundelehrer-Outfit und mit unerschütterlicher Anekdotenfestigkeit (für jede Party zu empfehlen!) seinen Roman „Schwarze Dame“ vorstellte, wollten aber weder rechte Stimmung noch der angekündigte Appetit so wirklich aufkommen. Deshalb wohl lichteten sich die Reihen im ohnehin nicht ausverkauften LCB nach der Pause noch einmal deutlich. Man wusste eben einfach nicht, wozu man geladen war. Dass lag nicht nur daran, dass sich das Moderatorenduo Frank Meyer und Maike Albath es ersparte, dem Abend irgendeinen Bogen zu verleihen, was bei dieser Auswahl der Bücher ein Einfaches gewesen wäre. Es lag vor allem daran, dass Albath in ihren Moderationen konsequent davon absah, die Bücher auch nur ansatzweise vorzustellen. Jedem, der nicht schon zu Hause vorgearbeitet hatte, musste zwangsläufig schleierhaft bleiben, worüber Albath mit den Autoren sprach. Larissa Boehning etwa befragte sie nach ihrem Verhältnis zu Stoffen und Texturen – schön wäre gewesen, vorher zu erfahren, dass Boehning in ihrem Roman die Geschichte einer jungen Frau erzählt, die sich in Amerika auf die Suche nach dem verschütteten Teil ihrer Familiengeschichte macht: Ihre Mutter ist die Tochter eines amerikanischen Besatzungssoldaten, dessen Identität die Großmutter nie preisgegeben hat. Begleitet von Tonbändern der Großmutter, findet Nele schließlich ihren vermeintlichen Großvater, der aber von einer Familie in Deutschland nichts wissen will.

Solche Zusammenhänge blieben den Besuchern am Wannsee verborgen, genauso wie ihnen nicht klar werden konnte, dass Kröhnkes schmaler Band „Wie in schönen Filmen“ ein sehr intimes Abschiednehmen von einer langjährigen Freundin ist, die nach einer letzten gemeinsamen Reise an Lungenkrebs stirbt. Immerhin dem letzten Gast auf dem Podium, Richard Wagner, war es vergönnt, ein paar inhaltliche Sätze zu seinem Roman „Das reiche Mädchen“ zu sagen, in dem die Protagonistin ihre Biografie so unheilvoll mit der Schuld der deutschen Vergangenheit verstrickt glaubt, dass ihr Leben keinen Halt gewinnen mag. Huch. Dann ist plötzlich Schluss. Ohne viele Worte wird das Publikum aus dem grellen Licht des LCB ins Nassdunkel der Straße entlassen. So in etwa, denkt man, muss man sich fühlen, nachdem der Chefarzt bei der Visite ein bisschen Fachvokabular zur anstehenden Herzoperation über den Bettrand geworfen hat, bevor er mit seinem Stab zum nächsten Zimmer weitergerauscht ist. Immerhin kann man jetzt mal die Augen ein bisschen entspannen.