Bremer Geologen suchen Sintflut

Bohrkerne belegen: Es gab nach der Schmelze der Polkappen einen großen Wassereinbruch ins Schwarze Meer. So könnte auch die „große Flut“ in Mesopotamien stattgefunden haben

Von Klaus Wolschner

„M72/5“ hieß die Expedition des Forschungsschiffes Meteor, mit dem Christian Borowski vom Bremer Max-Planck-Institut für Marine-Mikrobiologie mit seinem Kollegen Helge Arz vom Geoforschungszentrum Potsdam im Mai im Schwarzen Meer unterwegs war. Zurück kam er mit einer sensationellen Beute, die jetzt wissenschaftlich ausgewertet ist: Dort muss es vor 130.000 Jahren zu einer großen Überschwemmung gekommen sein. Eine „Sintflut“, sozusagen, eine „große Flut“.

Ein wahrer Glücksfall, sagen die Geologen, dass sie eine geeignete Stelle gefunden haben, an der die natürliche Sedimentabfolge ungestört erhalten geblieben ist. Frühere Bohrungen waren da weniger erfolgreich. Und sie hatten eine Methode angewendet, mit der man tiefer kommt. Das Ergebnis waren Bohrkerne, die 150.000 Jahre alte Ablagerungen unbeschädigt enthielten und in ihrer kompletten Abfolge. In den neuen Bohrkernen hebt sich dieser ältere Salzwassereinfluss von vor über 100.000 Jahren deutlich von den eher homogenen grau-braunen Süßwasser-Ablagerungen ab. Für Wissenschaftler, die solche Ablagerungen „zu lesen“ wissen, eine Sensation. „Unsere Daten belegen aber, dass das Naturschauspiel der Überflutung mit Meerwasser wiederholt stattgefunden hat“, sagt Christian Borowski.

Im Schwarzen Meer herrschen heute mit Ausnahme der obersten 150 Meter lebensfeindliche Verhältnisse. Unterhalb dieser Zone gibt es keinen gelösten Sauerstoff mehr, weil der Abbau abgestorbener organischer Materie im Laufe der vergangenen Jahrtausende sämtliche Sauerstoffvorräte aufzehrte. Höheres Leben ist in den unteren Schichten deshalb nicht möglich. In dem rhythmischen Wechsel von Kalt- und Warmzeiten während der letzten Jahrhunderttausende muss es wiederholt Phasen gegeben haben, in denen durch die Meeresspiegelhochstände während der Warmzeiten das Schwarze Meer über den Bosporus mit dem Mittelmeer verbunden war.

Während der letzten Eiszeit – in der Zeit vor etwa 115.000 bis 10.000 Jahren v. Chr. – war das bis zu 2.200 Meter tiefe Schwarze Meer ein großer Süßwassersee und durch den damals trocken gefallenen Bosporus vom Mittelmeer getrennt. „Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass sich vor etwa 8.000 Jahren vermutlich mächtige, aus dem Mittelmeer kommende Salzwasserfluten in das damals tiefer gelegene Binnengewässer ergossen“, schreiben die Wissenschaftler. 1997 hatten die US-amerikanischen Marinegeologen Walter Pitman und William Ryan diese Theorie entwickelt. Denn mit dem Abschmelzen der mächtigen polaren Eiskappen und dem Anstieg des weltweiten Meeresspiegels konnte sich vor etwa 8.000 Jahren das Mittelmeer über den Bosporus in das damals etwa 100 Meter tiefer liegende Schwarze Meer ergießen. Die Überflutung weit besiedelter Küstengebiete könnte somit Schauplatz der biblischen Sintflut gewesen sein – einer ähnlichen Überschwemmung, wie sie für eine frühere Epoche nun geologisch nachgewiesen ist.

Schon 1872 hatte der britische Altertumsforscher George Smith im Britischen Museum unter zahllosen Scherben auch Keilschrifttafeln entziffert, die Archäologen aus den Ruinen der antiken Stadt Ninive in Mesopotamien mitgebracht hatten – und fand, dass Berichte von einer ausgedehnten, katastrophalen Flut. Aber nirgends ist sie so detailliert und fundamental interpretiert worden wie in den jüdischen Thora-Rollen: „Als aber der HERR sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar“, heißt es im Buch Genesis, „da reute es ihn, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen, und er sprach: Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis hin zum Vieh und bis zum Gewürm und bis zu den Vögeln unter dem Himmel; denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe.“