Tommy-Weisbecker-Haus

Das alternative Hausprojekt, gegründet 1973, bietet immer noch Raum für selbstbestimmtes Leben

Das Hausprojekt bietet seit 1973 Freiräume und Kultur.

Volksküche:

Kiez Cousine – jeden Dienstag von 18 bis 22 Uhr

Nächstes Konzert:

Hardcore bleibt nazifrei!!!

Do. 29. 9. 2011, 20 Uhr

Im Netz:

www.tommyhaus.org

Die Fassadenbilder am Tommy-Weisbecker-Haus in Berlin-Kreuzberg sind eine beliebte Touristenattraktion. Jeden Tag kommen Neugierige in die Wilhelmstraße, um sich die Bilder des verstorbenen Berliner Sozialarbeiters Andreas Dornbusch anzuschauen, die nicht nur ästhetisch, sondern auch inhaltlich interessant sind. Die Bilder Dornbuschs reflektieren gesellschaftliche Probleme der 80er Jahre: Es geht um die Auswirkungen des Kabelfernsehens und um die Katastrophe von Tschernobyl. Themen also, die auch heute noch relevant sind.

Die größte Aktualität besitzt das Bild, das die Hausfront ziert. Es zeigt einen zerbrochenen Spiegel, in dem das marode Kreuzberg der 80er Jahre zu erkennen ist, ein auf einer Kanonenkugel reitender Baron-Münchhausen-Verschnitt in Anarchie-T-Shirt und ein sich bedrohlich ausbreitendes dunkles Wolkenmeer. „Mit dieser Arbeit nahm Dornbusch die Aufwertung des Viertels vorweg“, erklärt Rock Roy, Hausbewohner und Mitglied des Vereins Sozialpädagogische Sondermaßnahmen Berlin (SSB), der das Projekt betreibt. Die dunklen Wolken stünden für die Gentrifizierung.

Schaut man sich die Gegend um das Tommy-Haus an, so erscheint diese Interpretation äußerst plausibel. Die brachen und grauen Fassaden, die in dem Spiegel zu sehen sind, wurden in den letzten 20 Jahren durch moderne Wohn- und Bürokomplexe ersetzt. „Die Gegend hat sich komplett verändert“, berichtet Rock Roy. Auch die besetzten Häuser sind zum Großteil verschwunden. Abgesehen vom Mehringhof und dem Projekt „Mansteinstraße“ gibt es kaum noch Projekte in der Gegend. Die Szene konzentriert sich heute in Friedrichshain und Kreuzberg 36.

Das große Angebot der anderen beiden Kieze ist der Grund, warum das Tommy-Haus in linken Kreisen ein wenig in Vergessenheit geraten ist. „Was, das Projekt gibt’s noch?“, lautet eine der Fragen, die Rock Roy nicht selten hört. Die Realität zeigt, dass solche Kommentare ungerecht sind. Schließlich finden im Tommy-Haus nach wie vor Punk-Konzerte und Soli-Tresen statt. Darüber hinaus beherbergt das Projekt Probe- und Trainingsräume. „Bei uns ist noch ordentlich was los“, berichtet der Tommy-Haus-Bewohner.

Aber nicht nur das kulturelle Angebot, auch die Geschichte machen das Tommy-Haus nach wie vor zu einem besonderen Ort. Schließlich handelt es sich bei dem Haus um das drittälteste noch existierende Hausprojekt der Stadt. Am 2. März 1973, ein Jahr nachdem der Anarchist Thomas Weisbecker von der Polizei erschossen wurde, bezogen BesetzerInnen das marode Haus in der Wilhelmstraße 9. Zuvor hatte der Senat in Folge einer Besetzung des Autonomen Jugendzentrums „Drugstore“ eingewilligt, den BesetzerInnen das Gebäude zu übergeben. Noch am Tag des Einzugs bekamen die neuen BewohnerInnen einen Nutzungsvertrag, der 1982 durch einen langjährigen Erbpachtvertrag ersetzt wurde und somit die Zukunft des Projektes sicherte.

Im Gegensatz zu anderen älteren Projekten hat sich das Tommy-Haus sein politisches Profil erhalten können. „Das Wohnprojekt bietet noch immer einen Raum für selbstbestimmtes Leben“, erklärt Rock Roy. Die BewohnerInnen organisieren sich über regelmäßige Treffen, bei denen zusammen Entscheidungen getroffen werden, und über Arbeitsgruppen, die mit verschiedene Aufgaben betraut sind. So gibt es unter anderem eine Handwerks-, eine Öffentlichkeits- und eine Kochgruppe.

Auch die Unterstützung von TrebegängerInnen steht nach wie vor auf der politischen Agenda des Projekts. In Notsituationen werden sie aufgenommen, beraten und, wenn sie nicht in dem Projekt bleiben wollen oder können, an geeignete Einrichtungen weitervermittelt. Da einige der BeraterInnen selbst als Trebekinder ins Haus gekommen sind, haben sie ein gutes Verständnis für die Lebenslagen von Obdachlosen oder Problemsituationen junger Menschen und können einen unterstützenden Umgang mit den Jugendlichen entwickeln.

Über Unterstützung freut sich der SSB, der neben dem Tommy-Haus auch den Drugstore und das Wohnprojekt in der Mansteinstraße betreibt. Nicht nur bei der Bewirtung der beiden Projekte sowie dem sich im Tommy-Haus befindlichen Nachbarschaftscafé „Linie 1“ und dem „Schicksaal“ kann geholfen werden. Da der Senat seine finanzielle Förderung für die Treberhilfe 2007 eingestellt hat, freut sich der SSB auch hier über Unterstützung. LUKAS DUBRO