HAUSSEGEN, SCHIEF
: Trauer und Konsum

„Gott will auch dieses Jahr ganz bei den Menschen sein“

Letzter Vorhang für Christbäume: Beim Einbiegen in die Hobrechtstraße zermalmt ein Müllauto das grüne Etwas. Nadeln überall auf der Straße, dann abrupter Stop per Rad auf dem Trottoir – ein Baum liegt quer. Absteigen, innehalten, der Blick fällt auf Händlerschürzen vor Presse Britzke: Neben dem Spiegel-Cover, auf dem ein Einschussloch den karikierten Kopf von Michel Houellebecq ziert, wirbt Micky Maus für sein Magazin; er springt einem so behänd aus der Publikation entgegen, dass man meinen könnte, die Zeitschrift sei soeben explodiert. Rein zu Presse Britzke, wo einem mitgeteilt wird, die französische Libération exportiere aus Geldmangel nicht mehr nach Deutschland. Le Monde von gestern kaufen, groß prangt darauf: „LE 11-SEPTEMBRE FRANÇAIS“.

Weiter zur Buchhandlung Stadtlichter, die eine frankophile Buchecke hat. „Führen Sie schon ‚Soumission‘ von Houellebecq?“ Der Buchhändler reagiert bekümmert, man erhalte ja nicht mal die deutsche Ausgabe, die früher als vorgesehen erscheint. Vielleicht aber seien Exemplare in jener just vom Großhandel eingetroffenen Kiste. Er öffnet sie, gemeinsames Durchgehen der Titel: „Kochen mit Tomaten“ ist dabei, „Der kleine Tatzelwurm“, jedoch kein Houellebecq.

In der unweit entfernten Undine-Apotheke wird anschließend die Lieblingstagescreme erworben, dabei Besuch der Sternsinger aus der katholischen Kirche am Reuterplatz. Über der Tür wird der Haussegen „20 C+M+B 15“ nicht mehr mit Kreide geschrieben, sondern weiß auf schwarz als Sticker angebracht. Dafür klettert eine heilige Königin auf einen Hocker, der Priester hält die quietschende Tür in Schach. Zum Schluss spricht die Truppe: „Gott will auch dieses Jahr ganz bei den Menschen sein.“ Hoffentlich klappt’s, denkt man sich rührend reflexartig und steckt fünf Euro in die ausgestreckte Sammelbüchse.

HARRIET WOLFF