Wodka mit Spülwasser und Honig

TANZ Die Tanztage Berlin sind der Neujahrstreff der Szene. Man kommt erwartungsvoll – und geht frustriert

Die Tanzszene präsentiert sich, als würde ihr bloßes Dasein die Welt schon besser machen

VON ASTRID KAMINSKI

Es wird langsam Tradition: Das Tanzjahr beginnt schlecht. Zum 24. Mal laufen die Tanztage Berlin für NachwuchskünstlerInnen mit dem Lebensabschnittsmittelpunkt Berlin und Interesse an Körper- und choreografischem Denken. Dass sie öde beginnen, liegt nicht am Konzept, ganz im Gegenteil, und auch ganz bestimmt nicht an der neuen Leiterin Anna Mülter, die zuvor für das HAU unter Matthias Lilienthal und Theater der Welt gearbeitet hat, sondern an der Szene selbst.

In den Sophiensælen präsentiert sie sich, als würde ihr bloßes Dasein die Welt schon besser machen. Als habe sie den Queer-Diskurs erfunden, als müsse man nur mit einem Stativ onanieren oder als Boygroup in die Wälder ziehen, um zu einer bekennenden und alsbald anerkannten Minderheit zu gehören. Als müsse man nur Wodka mit Spülwasser und Honig mixen oder Presspappeplatten mit Saftorangen, um auf die Bedürfnisse von Lebewesen und Materie in unserem gesamten Planetensystem und darüber hinaus zu verweisen.

Die internationale Marginalisierung des zeitgenössischen Tanzes, die budgetmäßige Prekarisierung, ist, das ist Fakt, teilweise selbst gemacht. Relevanz wird kompensiert durch ein vor allem auf die potenzielle Werkanalyse ausgerichtetes, pseudohumanistisches und neuerdings vitalistisches Anliegen, das sich bestenfalls noch in Ironie erschöpft.

Schlechtestenfalls in Selbstmitleid: „XY reflektiert nun seine eigene Rolle als männlicher Tänzer innerhalb einer heteronormativen Matrix“, lässt sich ein Performer ins Programmheft schreiben. Nicht nur, dass dieser Satz seit Jahren Standardvokabular ist. Die gesamte Tanzszene, die ja größtenteils auch ihr eigenes Publikum, also Bezugssystem, bildet, ist so weit jenseits dieser Matrix, dass ein „heteronormatives“ Umfeld gar nicht vorhanden ist, also auch niemand, mit dem man sich auseinandersetzen könnte. Es geht um Selbstbestätigung.

Wie man sich, auch wenn man nichts zu bieten hat, selbstbewusst auf die Bühne stellt, scheint alles, was Tanzperformer bis zu ihrer Entlassung in den Bühnen- und Stadtraum gelernt haben. Und da partizipatorische Motive gerade als die Brücke schlechthin zu einem aus angeborener Passivität zu erlösenden Publikum gelten, stellen sich die AnfängerInnen genauso selbstbewusst auch der Eins-zu-eins-Performance, der wohl schwierigsten Konstellation überhaupt. „Strip down to everything“ heißt ein neues Format programmatisch, bei dem sechs Performer jeweils ein Setting vorbereitet haben. Drei Stationen sind pro Tour vorgesehen, nach der zweiten bin ich ausgestiegen. Das mag mich als Kritikerin disqualifizieren, war in der Funktion als selbstbestimmte Besucherin – und nicht als Laborobjekt kommunikativer Selbstüberschätzung – allerdings nötig.

Das hört sich wild an, es war aber vor allem lau. Einmal sollte ich, obwohl gerade reisemüde, was irrelevant war, in einem durch einen Laptop markierten Reisebüro eine Reise zu zweit buchen. Entweder nach New York, Rio de Janeiro oder auf die Osterinseln. Das Buchungssystem konnte aber meinen Partner nicht erfassen, darum musste ich mit meinem jüngeren Selbst reisen und, unter einer Schlafbrille, dem Agenturmitarbeiter erzählen, wie das so ist. Wie es mich sehen würde, mein jüngeres Selbst. Ich suchte nach Antworten zwischen Spiel und Wirklichkeit und scheiterte, nicht zuletzt an der Beschränktheit der Situation und meines Gegenübers. Mit Schlafbrille wurde ich ins Treppenhaus geleitet und entlassen.

Danach ging’s in ein anderes Treppenhaus zu einer theatralisch lächelnden Performerin, die sich auf alte Standardtanzschlager im Kreis mit sich selbst drehte. Es war abzusehen, dass ich irgendwann mitmachen musste. Beim Schwofen stieg ich aus. Ich fühlte mich schlecht, dachte – es war Donnerstag – an Paris und hatte nicht die geringste Lust, mir emotionale Großzügigkeit zu einem vollkommen irrelevanten Tanzdialog abzwingen zu lassen. Also lächelte mein Gegenüber weiter und kreiste wieder um sich selbst.

Bewerben darf sich für die Tanztage jeder, der sich den genannten Kriterien des Körper- und choreografischen Denkens widmet, also auch entsprechend gepolte PsychologInnen, StripperInnen oder JournalistInnenen. Dieses Motto stimmt weitestgehend überein mit dem des Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz (HZT), der 2010 in Betrieb genommenen, avantgardistischen Berliner Talentschmiede, die sich in den letzten Jahren sowohl als größter Zulieferer als auch als ästhetischer Trendsetter qualifiziert hat.

Und das macht es nicht leichter, weil dadurch die Marke gesetzt ist, an der sich die Szene orientiert. Eine Erfolgsgeschichte für das HZT, nicht unbedingt für den Tanz.