Rechte wollen turnen

PROTEST Rund 120 Menschen demonstrieren gegen Nutzung von Turnhalle als Flüchtlingsheim

Was sich in Hohenschönhausen als besorgte Bürgerschaft ausgibt, sieht eher aus wie rechter Mob. Es ist etwa halb vier am Nachmittag, als der Demonstrationszug am Sonnabend unweit der Turnhallen in der Klützer Straße haltmacht. Dort werden seit Ende vergangener Woche rund 100 Flüchtlinge durch das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) untergebracht.

Für die rund 120 Rechten ist das natürlich ein Affront. Umso mehr, als in den Hallen beispielsweise der Fußballclub BFC Dynamo sein Kitaprojekt nicht mehr anbieten kann. Auch wenn der Bezirk laut Medienberichten bereits eine andere Halle dafür bereitgestellt hat, ist der Ärger groß.

Eine Straßenecke weiter steht Evrim Sommer. Ungern will die Linke-Politikerin ihren Wahlkreis den Rechten und deren Parolen überlassen. Sie hat vor dem Bezirksamt eine Gegenkundgebung angemeldet, zu der etwa 150 Menschen erschienen sind. Auch Sommer ist nicht mit der eiligen Beschlagnahmung der Halle durch das Lageso einverstanden. „Ich war in der Halle. Die Bedingungen dort sind unwürdig, die hygienischen Zustände sind mangelhaft, es mieft“, sagt sie und kritisiert: Die Flüchtlinge müssten jetzt unter der mangelhaften Unterbringungspolitik des Senats leiden. Man habe den Bezirk mit der Beschlagnahmung der Hallen überrumpelt. Jetzt sei die Stimmung gereizt. „Der Senat hat ein hausgemachtes Problem nach Hohenschönhausen transportiert.“

Angst vor Fremdem

Die Demonstranten vor dem Bezirksamt aber wollen den Rechten nicht die Meinungshoheit in Lichtenberg überlassen. „Mir geht es auf die Nerven, dass solche Leute einen ganzen Bezirk stigmatisieren. Aber das ist nicht Lichtenberg, das ist eine Minderheit“, sagt eine Frau. Tatsächlich vermuten Antifa-Initiativen, dass an den Protesten in Lichtenberg maßgeblich Neonazis aus dem Umland beteiligt sind. Manche Einwohner folgen ihnen. Eine Sozialpädagogin erzählt: „Hier gibt es einen tief verankerten Alltagsrassismus. Ich kenne Leute, die keine Extremisten sind und trotzdem heute bei den Rechten marschieren. Die haben Angst vor Fremdem.“

Die Gegendemonstranten beharren darauf, dass es in Lichtenberg eine Willkommenskultur für Flüchtlinge gebe. Doch auch wenn sie zahlreicher erschienen sind als die Rechten, reicht das an diesem Samstag nicht aus, um deren Marsch zu verhindern. Zu wenige Menschen sind gekommen. Nur vereinzelt tauchen am Rande der Demonstration Gegner auf, die „Nazis raus!“ rufen und von der Polizei abgedrängt werden.

Ungehindert aber läuft der Aufzug durch die Straßen Hohenschönhausens und appelliert an die Anwohner, sich besser in den Protest gegen rechts „einzureihen“. Doch die bleiben lieber auf ihren Balkonen und schauen dem Treiben zu.

Gerne wäre der Mob noch einmal vor die Turnhalle gezogen. Doch Sturm und Platzregen verhindern das. Die letzten Parolen verhallen in den Böen. Für diesen Samstag ist der Spuk erst einmal vorbei. MATTHIAS BOLSINGER