Ein Chemiker lässt es krachen

Cornelius Weiss war sauer. „Ich muss sagen, dass die Geduld vieler SPD-Abgeordneter wirklich ausgereizt ist“, schimpfte er am Wochenende im Deutschlandfunk. Gestern früh im MDR schickte der sozialdemokratische Fraktionschef im sächsischen Landtag hinterher, mit den Koalitionspartnern von der CDU gehe es so nicht weiter: „Wir sind nicht das willenlose Stimmvieh.“

Weiss, 74 Jahre alt, Professor der Chemie, ist bekannt dafür, dass er in heiklen Situationen deutlich wird. In den 1990er-Jahren, als er noch Rektor der Leipziger Uni war, kündigte die damalige CDU-Alleinregierung ein Sparprogramm an. Weiss führte den Widerstand an und gab dem Finanzminister Bescheid, wenn er sich festgebissen habe, müsse man seinen Hals abschneiden, damit er loslasse. Der Finanzminister hieß zu jener Zeit Georg Milbradt.

Weiss kalkuliert scharfe Schüsse. Zurzeit muss die SPD zeigen, dass sie über das Schlamassel mit Sachsens Landesbank so erzürnt ist wie die Bürger. Gleichzeitig wäre es für sie riskant, die Koalition platzen zu lassen. Angesichts des bundesweiten Stimmungstiefs der Partei halten es selbst Sozialdemokraten für möglich, dass bei vorgezogenen Sachsen-Wahlen die atemberaubenden 9,8 Prozent von 2004 noch unterboten werden. Kontrollierte Explosionen lautet deshalb die Taktik. Bei allem Kalkül spürt man allerdings auch bei Weiss echten Frust und seine alte Lust an der Polemik. „Man sollte als Politiker Mensch bleiben“, sagt er.

In der DDR hielt er sich fast bis zum Schluss aus der Politik raus und wurde Quantenchemiker an der Leipziger Uni. Als er am Montag dem 9. Oktober 1989 nach Hause ging, kamen ihm viele Menschen entgegen. Weiss erkannte einige Studenten und sah ihre spöttischen Blicke. Er habe sich geschämt, sagt er heute, habe kehrt gemacht und mitdemonstriert.

In der Wendezeit baute er die Universität mit um, später wurde er Rektor. Weil er in diesem Amt überparteilich agieren wollte, wurde er nicht Sozialdemokrat, obwohl seine Eltern Sozis waren. Als er 1997 das Rektoramt übergeben hatte, konnte es nicht schnell genug gehen. „Um 0.05 Uhr war ich Mitglied.“ Zwei Jahre später kandidierte er erfolgreich für den Landtag. Zu Beginn seiner zweiten Wahlperiode hielt er als Alterspräsident die Eröffnungsrede – vor einem Parlament, in dem die NPD fast so stark war wie die SPD. Die Rede geriet scharf, aber souverän. Demokratie sei und bleibe stark und werde notfalls verteidigt.

Nächstes Jahr wird er 75. Er sagt, dass er dann nicht mehr Fraktionschef sein wird. Noch will er aber nicht hinschmeißen. „Der Maschinenmaat geht nicht von seinem Arbeitsplatz weg, wenn das Schiff in schwerer See ist.“ GEORG LÖWISCH