Auf einen Kaffee mit Charly Effendi

REISELITERATUR Zwei Monate hat Autor Wolfgang Büscher in Jerusalem gelebt und beobachtet. Was er von dort mitgebracht hat, stellt er nun in Buchhandlungen und Literaturhäusern in Norddeutschland vor

Büscher aber geht durchs Jaffator und betritt eine gigantische Projektionsfläche

Den „zerbeulten, zerschrammten blauen Koffer in der Hand, betrat ich durchs Jaffator die Heilige Stadt“. Da, auf Seite 13, hat Wolfgang Büscher eine Fahrt im Sammeltaxi-Kleinbus hinter sich, wie sie exemplarischer kaum sein könnte: vorne „drei Amerikaner, orthodox auf den ersten Blick mit ihren Vollbärten, schwarzen Mänteln und schwarzen Hüten, eigentlich schauten nur Hände, Lippen und Augen aus all dem Schwarz hervor“, dahinter „sehr aufrecht drei junge russische Nonnen, die Gesichter bleich wie Milch“.

Auf der Rückbank ein älteres englisches Ehepaar und „ein schläfenlockiger junger Schlaks im glänzenden schwarzen Kaftan, der unentwegt telefonierte“. Fehlen eigentlich nur noch uniformierte Soldaten, und Israel wäre auf engstem Raum symbolisch abgebildet. Oder zumindest das, was viele dafür halten.

Büscher aber geht durchs Jaffator und betritt eine gigantische Projektionsfläche: „Jerusalem ist nie Hauptstadt eines Staates gewesen“, schreibt er, „seit seiner Zerstörung durch die Römer im Jahre 70 nicht, abgesehen vom kurzen Traum des Königreichs der Kreuzritter. Jerusalem war etwas anderes. Eine Stadt, nicht ganz von dieser Welt.“ Zwei Monate hat der Autor gelebt, wo die drei monotheistischen Religionen sich kreuzen oder – je nach Sichtweise – aneinander reiben. Wo in manchen Augen der Nahostkonflikt seine Ursache hat – und gelöst werden muss.

In einem arabischen Hostel hat Büscher gelebt, unter muffigen Decken in einem steinernen Zimmer, kaum größer als ein Grab, dafür aber mit Aussicht auf goldene Kuppeln; und in einem griechischen Konvent aus der Kreuzritterzeit. Drunter scheinen sie’s aber auch kaum zu machen, dort, wo es manchmal wirke, als machten die selben Leute seit zweitausend Jahren ihre Geschäfte oder säßen, den ganzen Tag beim Tee und spielten Karten, ganz egal, wer gerade über die umliegende Wüste herrscht.

Nun ist es denkbar trivial, dass, wer in Jerusalem lebt, auf denkbar geschichtsträchtigsten Spuren wandeln wird, auf heiligen vielleicht sogar. Und kommt wirklich nicht mal ein gerne als bester deutscher Reiseliterat angesehener Vielfach-Preisträger um die Formel vom Eintauchen ins Menschengewühl auf der Via Dolorosa herum? Zwei Monate würden nie reichen, diese Stadt zu verstehen, sagt ihm der alte Armenier, den Büscher – zwecks Ehrbezeugung und besserer Aussprechbarkeit – ‚Charly Effendi‘ nennt: „Ich bin hier geboren und lebe seit sechzig Jahren hier, und manches verstehe ich immer noch nicht.“ Um sogleich eine ganz persönliche Essenz des viel begehrten Ortes anzubieten: „There’s no joy in this city.“ – Und das ist dann doch überraschend. So funktioniert vielleicht auch Büschers ganzes Buch: Zwischen manch Erwartbarem wird er immer dann besonders lesenswert, wenn er nah rangeht und hinschaut. Ein wenig, als wende er sich, statt den abgewetzten Wegsteinen, die schon so viel beschrieben wurden, den Ritzen dazwischen zu.  ALDI

Wolfgang Büscher: Ein Frühling in Jerusalem, Rowohlt Berlin 2014, 240 S., 19,95 Euro; E-Book: 16,99 Euro. Lesungen: heute, 20 Uhr, Blue Note/Cinema Arthouse, Osnabrück; 14. 1., Buchhandlung Thye, Oldenburg; 15. 1., Literaturhaus Hamburg (ausverkauft); 21. 1., Buchhandlung Hugendubel, Lübeck; 30. 1., Buchhandlung Wegener, Burgdorf