Plötzlich war das Baby da

Eine 27-jährige Mutter gesteht vor dem Landgericht, ihr Neugeborenes im Affekt in einer Plastiktüte vom Balkon eines Hochhauses geworfen und danach ihren Freund beschuldigt zu haben

Fast jedes Jahr kommt es in Hamburg zu Kindstötungen. 2002 wurde eine 24-Jährige verurteilt, weil sie ihr Baby erstickt hatte. Sie war nach einer Vergewaltigung schwanger geworden. 2003 wurde in Sasel ein Säugling in einer Mülltonne gefunden. 2004 waren es Gärtner, die in Rothenburgsort einen erstickten Säugling fanden. 2006 wurde in Barmbek ein Säugling entdeckt, der bei der Geburt jedoch schon tot war. BEG

VON KAI VON APPEN

Es ist ein Geständnis, das der Vorsitzende Richter Claus Rabe „sehr honoriert“, auch wenn die erinnerten zeitlichen Abläufe von den Fakten erheblich abweichen. Und auch was in Monika K. vorgegangen ist, als sie am 17. März dieses Jahres ihr neugeborenes Töchterchen in eine Plastiktüte steckte und vom Balkon des zehnten Stocks des Hochhauses Achtern Born in Osdorf 25 Meter in Tiefe warf, kommt nicht richtig ans Licht. „Ich hab’ einen Schock gehabt oder so“, sagt sie, die eigentlich das Kind haben wollte. „Plötzlich war es da.“

Seit gestern muss sich die 27-jährige Polin vor dem Landgericht wegen Totschlags und falscher Anschuldigung verantworten. Wenn die zierliche Frau mit den hochgesteckten Haaren erzählt, kommen immer wieder Fragen auf. „Und das hat niemand gemerkt?“ „Und das hat man ihnen geglaubt?“ Man hat. Ihre Schwangerschaft hatte sie im Sommer 2006 bemerkt. Ihr 23-jähriger albanischer Freund Hismet K. war gegen ein Kind. Sie solle es „wegmachen lassen“, so seine klare Forderung. Monika K. hatte bereits in Polen einen Termin bei einer Frauenärztin, da kamen ihr im Wartezimmer Skrupel. „Ich kann es nicht wegmachen lassen“, habe sie gedacht. Schließlich sei sie mit 27 Jahren im besten Alter für ein Kind, und die biologische Uhr ticke ja bereits. Auch ihre Mutter habe gedrängt, dass es für sie Zeit wäre, Großmutter zu werden. Trotzdem vertraute sich Monika K. ihr nicht an.

Wieder in Hamburg, begann sie mit den Lügen. „Ich hab’ ihm gesagt, ich hab’ es weggemacht“, berichtet sie von einem Gespräch mit Hismet K. „Ich bin nicht mehr schwanger“, will sie ihm gesagt haben. Er soll geantwortet haben: „Ich mach’ das Kind tot, wenn das nicht stimmt.“ Im Kosovo-Krieg habe er damit „Erfahrungen gemacht“ und bei einem „katholischen Kind“ habe er damit kein Problem.

Monika K. lebte weiter mit der Lüge. Auch wenn sie von anderen angesprochen worden sei – sie jobbte als Babysitterin – habe sie die Schwangerschaft geleugnet. Von einer Mutter, dessen Kind sie hütete, sei sie sogar auf die Möglichkeit der Babyklappe hingewiesen worden.

Monika K. schmiedete einen Plan: Da nach ihren Berechnungen die Geburt Ende April sein sollte, wollte sie kurz vorher zu ihrer Mutter nach Polen reisen und die Schwangerschaft beichten. „Sie hätte zwar anfangs geschimpft“, glaubt sie, „doch sie hätte das Kind akzeptiert.“

Doch dann kam der 17. März: Nach dem Einkaufen habe sie plötzlich Schmerzen bekommen. Und dann sei alles ganz schnell gegangen. Sie habe auf der Toilette gerade noch ein Handtuch greifen können, um das Kind aufzufangen. Die Nabelschnur habe sie selbst mit einer Schere durchtrennt. „Gott sei dank, es lebt“, habe sie gedacht, als der Säugling zu Schreien begann. Sie habe sich ein Taxi gerufen. „Ich wollte in ein Krankenhaus.“

Plötzlich habe das Baby „merkwürdig geröchelt“. „Ich bekam Angst“, sagt Monika K. unter Tränen. Im Affekt habe sie eine Plastiktüte geholt und das Baby vom Balkon geworfen. Der Säugling erlitt Schädelbrüche. Als wenig später Hismet K. nach Hause gekommen sei, habe sie von allem nichts erzählt. Über Tage hinweg ging sie ganz normal ihren Jobs nach. Selbst als die Polizei bei ihr an der Wohnungstür klingelte, und fragte, ob sie eine schwangere Frau in diesem Block kenne, verneinte sie dies.

Erst als die Fahnder nach Tagen der Suche eine DNA-Probe von ihr verlangten, gab sie die Geburt zu und bezichtigte Hismet K. so glaubhaft der Tat, dass nach ihm eine Fahndung eingeleitet wurde – bis der Schwindel aufflog. Der Prozess wird fortgesetzt.