„Eine Frage der Solidarität“

EUROKRISE Griechenland braucht einen Schuldenerlass, sagt John Milios, der Chefökonom des Linksbündnisses Syriza. Die Menschen litten unter dem bisherigen Spardiktat

■ 62, ist Wirtschaftsprofessor an der Nationalen Technischen Universität Athen. Er ist Chefökonom des Linksbündnisses Syriza.

INTERVIEW HANNA GERSMANN

taz: Herr Milios, mischt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in die Zukunft Griechenlands ein?

John Milios: Deutschland ist das stärkste Land in der Europäischen Union, also akzeptieren alle, dass es die wichtigste Rolle spielt. Das Problem: Die Regierungschefs in den anderen EU-Ländern lehnen sich nicht gegen die von Merkel vorgegebene extrem neoliberale Politik auf, durch die das Land, die Wirtschaft und die Gesellschaft kaputtgespart werden. Die Menschen in Griechenland können zum Beispiel nicht mehr vernünftig medizinisch versorgt werden. So warten sie auf eine Krebsoperation leicht acht Monate. Dann kann es schon zu spät sein.

Sie und Ihre Partei wollen den Sparkurs, den Brüssel im Gegenzug zu Hilfskrediten fordert, aufheben. Nehmen Sie in Kauf, aus der Eurozone geworfen zu werfen?

Das sehen die europäischen Verträge doch gar nicht vor. Und es wäre auch für alle anderen ein Risiko. Geht ein Land raus, wird es Chaos geben. Wir wollen in der Eurozone kämpfen – und verhandeln, um aus der Schuldenfalle zu kommen.

Sie wollen einen Schuldenschnitt – wie soll der genau aussehen?

Es hätte kein deutsches Wirtschaftswunder gegeben, wenn der Bundesrepublik nicht 1953 die Hälfte aller Schulden bei anderen Staaten, Unternehmen und Privatinvestoren erlassen worden wäre. Damals reichte auch Griechenland dem Kriegsverlierer die Hand. Heute brauchen wir Spielraum, um eine sozial gerechte Wirtschaftsentwicklung zu fördern.

Die Schulden der Deutschen damals resultierten zum Teil noch aus dem Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg. Ist das vergleichbar?

Der Schuldenerlass ist eine Frage der Solidarität. Unterschiede gibt es immer. In Griechenland stehen wir vor einer humanitären Katastrophe.

Warum meistern denn andere Länder wie Irland oder Portugal ihre Krise besser als Griechenland?

Die Iren sprechen Englisch, und sie haben eine starke irische Gemeinschaft in Großbritannien und in den USA. Irlands Arbeitslosigkeit ist nur deshalb niedriger, weil viele ausgewandert sind. Das hat nichts mit guter Performance zu tun.

Ist es für Sie gerecht, dass der Rest Europas – selbst die ärmeren Euroländer Slowenien, Slowakei und das Baltikum – für die jahrelange Misswirtschaft der griechischen Regierung zahlen muss?

Die Bürger sollen keinen Euro verlieren. Das könnte so funktionieren: Die Europäische Zentralbank nimmt allen Eurostaaten jene Schulden ab, die 50 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung übersteigen. Die werden umgewandelt in Anleihen, die nicht verzinst werden. Die Anleihen verlieren mit der Inflation Jahr für Jahr an Wert. Regierungen kaufen sie dann zurück, wenn sie nicht mehr Schulden als 20 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung ausmachen. Auf das Geld aus Griechenland müsste die EZB dann ungefähr 50 Jahre warten.

Wie wollen Sie im Gegenzug die Wirtschaft wieder in Gang bringen?

■ Bereits Mitte 2014 hatte Griechenland 320 Milliarden Euro Staatsschulden. Das Land erwirtschaftet nicht genug für den Schuldendienst. Im Vorfeld der Wahlen in Griechenland am 25. Januar wird über einen Schuldenerlass diskutiert, wie ihn das Linksbündnis Syriza fordert. Das Bündnis könnte die Wahl gewinnen.

In Griechenland entstehen bereits viele kleine Unternehmen, die Software und Mikroelektronik entwickeln. Diese Unternehmen werden wir fördern. Genau wie die grünen Energien. Zudem werden wir versuchen, den Tourismussektor mit der Landwirtschaft zusammenzubringen – und zum Beispiel allen Urlaubern mehr als Feta und Oliven anbieten.

Wie viel kostet das den griechischen Staat?

Für unser sogenanntes Thessaloniki-Programm, mit dem wir die Einkommen und den Wohlfahrtsstaat stabilisieren wollen, veranschlagen wir 11,5 Milliarden Euro.

Werden Sie endlich die Reichen in Griechenland dazu bringen, ihrer Steuerpflicht nachzukommen?

Die Steuerbehörden in Griechenland müssen gestärkt werden. Längst gibt es Listen mit Steuersündern und Korruptionsdelikten. 55.000 Griechen haben demnach zum Beispiel während der Krise jeweils mehr als 100.000 Euros von ihren Konten abgehoben und aus dem Land geschafft. 24.000 davon sollen dabei gegenüber den Finanzbehörden falsche Angaben gemacht haben. Doch gerade mal 400 davon sind innerhalb der letzten zwei Jahre bestraft worden. Personal fehlt an allen Ecken und Enden. Es hat etwas mit politischem Willen zu tun, ob man Steuersünder belangt.