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EINEN MENSCHEN EIN- UND ALLE ANDEREN AUSZUSCHLIESSEN – DAS IST EINE ALBERNE FORM DER LIEBE. RICHTIG IST ES, DIE LIEBE IMMER ALS OPTION EINZUPLANEN, JEDEM GEGENÜBERGegen Schlösser, für die Liebe

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Was wir wirklich brauchen, das ist Liebe. Besonders jetzt, besonders in einer Zeit, wo man täglich aufgefordert ist, sich zu positionieren, wo man mehr als Masse, denn als einzelner wahrgenommen wird, und wo man sich immer auch und vor allem gegen andere Meinungen, Menschen, Menschengruppen aufstellt, wenn man das tut. Wenn man sich anschließt und sich mit sichtbar macht.

Viel Wut ist in der Welt, Angst und Wut. Wut ist O. K., ich bin für Wut, Wut schließt Liebe nicht aus, aber wo ist die Liebe hin? Und was ist das überhaupt für ein schlimmes, albernes Ding geworden, die Liebe? Die klebt auf Tassen und auf Kissen, die ist rosa und kuschelig, die macht sich klein wie ein Kätzchen, schließt sich ein und wirft den Schlüssel weg. Da trifft es mich wie ein Schock, auch Hannover will die Liebesschlösser verbieten. Was soll dann werden?

Angenommen, Regine und Karsten wollen heiraten, wie sollen sie das Symbol ihrer Liebe, das ja anerkanntermaßen in der heutigen Zeit ein Vorhängeschloss an einer Brücke ist, in der Öffentlichkeit präsentieren? Und in der Öffentlichkeit muss ein Liebessymbol nun mal präsentiert sein.

Man kann das nicht einfach zu Haus an den Gartenzaun anschließen. Das muss draußen sein, wo einer bzw. die ganze Welt das sehen kann, dass Regine und Karsten sich jetzt haben, für immer, dass da keiner ran kann, dass die das zugeschlossen haben, dieses Liebesschloss und haben sogar den Schlüssel weggeschmissen. So ein symbolischer Akt des Abschließens für immer erinnert einen sofort an das, was Liebe sein soll, eine Art Eingesperrtsein mit einem, der dann nicht mehr weg kann.

Originell ist das, so ein Schloss, mal was anderes, muss man erst mal drauf kommen, kann man zwar kaum noch drüber hinwegsehen, aber kommen muss man trotzdem drauf. Für die, die da jetzt schon hängen, mit ihrer Liebe, ist das schlimm, wenn das ein Symbol sein soll, dann bedeutet das nichts Gutes für deren Liebe.

Denn die Stadt Hannover will die Schlösser jetzt alle von dieser Brücke im Maschpark abklemmen. Die Brücke trägt nämlich die Liebe nicht mehr. Die Brücke kracht darüber zusammen. Das ist ja auch schon anderswo passiert, manchen Brücken Europas ist die Liebe schon zu schwer geworden, und dann wird sie abgeklemmt, Schloss für Schloss und die Lieben flattern alle davon und die Leute lassen sich scheiden.

Oder soll ein Ereignis mit soviel Symbolträchtigkeit nichts nach sich ziehen? Einen symbolischen Wert muss es ja schon haben, wenn so hunderte, tausende kleine Einzelsymbole zerstört werden. Es muss einen potenzierten symbolischen Wert haben. Es muss eine Art Umkehrung der vorherigen kleinen Einzelbotschaften bedeuten, es muss ein Zeichen einer einzigen, gemeinschaftlichen Entliebung sein, oder? Oder?

Und ist nicht diese Liebe auch sowieso und von vornherein ein egoistisches Ding? Gehen davon nicht unsere Brücken kaputt? Denkt denn keiner, der sein Vorhängeschloss an seine Beziehung hängt, an unsere Brücken? Und wäre es nicht besser, ein paar andere Leute auch mit einzuschließen? Ist nicht diese ganze alberne Sorte Liebe Schuld an allem? Weil sie nur einen einschließt und alle anderen ausschließt? Ist nicht das Ausschließen ein großer, großer Fehler?

Mir fällt es momentan schwer, mich zu positionieren. Es ist natürlich richtig, zu sagen, dass das Umbringen von Menschen falsch ist. Es ist auch richtig und unbedingt notwendig, die Pressefreiheit zu beschützen, weil sie ein oberstes Gut der Demokratie und der Freiheit ist. Das alles unbedingt. Auch richtig ist aber, die Liebe als Option mit einzuplanen. Jedem Menschen gegenüber. Ich lehne es ab, Menschen anders, als einzeln zu beurteilen. Ich bin dafür, alle Liebesschlösser überall zu entfernen. Ich bin gegen Schlösser und sehr für die Liebe. Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 bei Rowohlt. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.

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