Aufstand der Juristen

Der Entwurf für ein gemeinsames Jugend- und Strafvollzugsgesetz sorgt in Hamburg für heftige Kritik und verfassungsrechtliche Bedenken. Richter, Staats- und Rechtsanwälte machen mobil

VON KAI VON APPEN

Eigentlich haben die Berufsgruppen in der Justiz unterschiedliche Rollen: Staatsanwälte klagen an, Anwälte verteidigen, RichterInnen urteilen. Doch wenn es um den Hamburger Gesetzentwurf zum neuen Jugend- und Strafvollzugsgesetz von CDU-Justizsenator Carsten Lüdemann geht, ziehen alle an einem Strang. „Wir wollen, dass das Jugendstrafvollzugsgesetz so nicht verabschiedet wird und die bundesweiten Regelungen zum Strafvollzug in Kraft bleiben“, sagt deshalb Friedrich-Joachim Mehmel, Vorsitzenden des Arbeitskreises sozialdemokratischer JuristInnen „Der Gesetzentwurf bedeutet Strafvollstreckung ohne Inhalt“, ergänzt Ortmar Kury, Vizepräsident der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer.

Seit der Föderalismusreform ist es den Bundesländern gestattet, den Strafvollzug eigenständig zu regeln. Im März dieses Jahres hat das Bundesverfassungsgericht den Ländern zudem aufgetragen, den Jugendstrafvollzug bis Jahresende endlich auf eine gesetzliche Basis zu stellen. Dabei sei dem Erziehungsaspekt absolute Priorität einzuräumen.

Neun Bundesländer haben daraufhin ein gemeinsames Jugendstrafvollzugsgesetz erarbeitet. Lediglich Niedersachsen, Hessen und Bayern basteln an eigenen Novellen. Und Hamburg setzt mit einem Unikat allem die Krone auf. Während alle Länder an dem bundesweit geregelten Erwachsenenvollzug festhalten, plant Lüdemann den Jugend- und Erwachsenenstrafvollzug in einem gemeinsamen Gesetz zu regeln. „Es gibt überhaupt keine Veranlassung, den Strafvollzug zu ändern“, kritisiert Mehmel.

In dem Hamburger Gesetz soll fortan dem Sicherheitsgefühl der Bürger absoluter Vorrang vor der Resozialisierung eingeräumt werden, der geschlossene Vollzug wird statt dem offenen Vollzug zum Regelfall. „Opferschutz statt Täterschutz“, so die Floskel.

Für Gerhard Schaberg, Vorsitzender des Richtervereins, dem auch Staatsanwälte angehören, gibt es keinen Grund, das Strafrecht zu verschärfen, wenn man sich genau ansehe, was auf Hamburgs Straßen los sei. Den offenen Vollzug zurückzudrängen sei der falsche Weg. „Vollzugslockerungen sind keine Belohnung, sondern Vorbereitung auf die Freiheit“, sagt auch Mehmel.

Es sei ein Skandal, befindet auch der Schleswig-Holsteinische Ex-Oberlandesgerichtspräsident Dietrich Mett, der sich jetzt im Forum der Straffälligenhilfe engagiert. Justizsenator Lüdemann sei zu feige, den von seinem geschassten Vorgänger und Hardliner Roger Kusch eingeleiteten Paradigmenwechsel zu revidieren, sondern schreibe ihn mit dem der gesetzlichen Einführung des so genannten „Chancenvollzugs“ weiter fest. Strafvollzug habe nicht die Aufgabe, durch Verwahrvollzug entsozialisierend zu wirken, „sondern den Straffälligen vom ersten Tag an auf den Tag der Entlassung vorzubereiten und ihn nicht nach der Haft ohne Geld, ohne Job und ohne Wohnung auf die Straße zu setzen“.

Auch Jugendrichter Joachim Katz übt harsche Kritik am Jugendstrafvollzugs-Entwurf: „Da hat sich keiner Gedanken gemacht, was Erziehung bedeutet“. Gerade im Jugendbereich habe man es mit Menschen zu tun, die schwer erzieherisch geschädigt seien und motiviert werden müssten. Was im neuen Gesetz stehe, habe aber mit Erziehung nichts zu tun, sagt Katz. „Das Jugendstrafrecht ist zum Anhängsel des allgemeinen Strafvollzugs geworden.“

Mehmel hält sogar den Entwurf in Teilen für verfassungswidrig. Er beruft sich dabei auf die Expertenanhörung, bei der fast alle Sachverständigen Bedenken angemeldet haben haben, was die Mitwirkungspflicht der Jugendlichen angehe. „Das Gesetz droht zur verfassungsrechtlichen Pleite zu werden“, glaubt Mehmel und appelliert: „Resozialisierung ist der beste Opferschutz von morgen.“

Veranstaltung: „Strafvollzug quo vadis? Brauchen wir höhere Strafen und einen härteren Strafvollzug?“ Heute, Hamburg, Grundbuchhalle Ziviljustizgebäude, Sievekingplatz 1, 18 Uhr. Infos: www.informationsplattform-strafvollzug.de