uli hannemann, liebling der massen
: Reich’s Park – bald in Tempelhof

„Stillgestanden, rührt euch, stillgestanden!“ Ein beleibter Kater Karlo in Fantasieuniform brüllt eine Reisegruppe an. Die jungen Amerikaner lachen und knipsen. Sie kommen aus Fucking-off-the-road, einer kleinen Stadt im Mittelwesten der USA. Selbst dort, im Bundesstaat North Boring, wo langbärtige Vanish People, in einem fort parachristliche Tiraden murmelnd, auf schwarzen Pferdekutschen durch endlose Weizenfelder klappern, kann man Bildungsreisen an den Platz der Luftbrücke buchen: „Willkommen in ‚Reich’s Park‘, Schweinhunder“, schnauzt der Dicke – „my name is Göring, Reichsmarschall Göring“, begrüßt er die Besucher im ersten und einzigen Nazi-Erlebnispark der Welt.

„Wir müssen“, sammle ich die Gruppe, „please go ahead – everybody has to get his Stempel now!“ Ich trage eine schwarze Uniform mit Hakenkreuzbinde. Das Verbot verfassungsfeindlicher Symbole ist auf dem gesamten Gelände aufgehoben. Der Themenpark schafft 500 Arbeitsplätze – da zeigt sich die Politik nicht unnötig kleinlich. Durch endlose Gänge führe ich die Schüler zur nächsten Station, der Registrierung. In einer erniedrigenden Prozedur werden alle zu einer langen Schlange formiert und zu einem fiesen Glatzkopf geschleust, der jedem herablassend einen Stempel auf den Unterarm drückt. Der Vorgang wiederholt sich im Grunde täglich im Clubleben dieser Stadt, doch zum Glück wissen das die Gäste nicht. Unter stolzem Geschnatter vergleichen sie die frisch erworbenen Symbole – „Arbeitsscheu“, „Homosexuell“ oder „Jude“. Sie verstehen ohnehin kein Wort.

Und weiter geht’s. „Folks, let’s go to the folks“, scherze ich, und die Gruppe lacht. Sie mögen mich. Das wird mir gute Bewertungen verschaffen, und ich steige irgendwann zum Assistant Manager bei McEndsieg auf, um bei der parkeigenen Imbisskette die Zubereitung der Schnitzelburger zu kontrollieren. Wir zeigen Goofy unsere Stempel und dürfen eine Flügeltür passieren. Wir befinden uns im Volksgerichtshof. Einer nach dem anderen wird vors Richterpult geführt, von einer Mickymaus in Robe angeschrien: „You arr sentencened to deass, dreckiger Schweinhund!“, und mit Konfetti beworfen. Die anderen fotografieren ihn dabei. Nach den Stationen Konzentrationslager, Krauternte und Führerbunker wartet auf dem ehemaligen Rollfeld die „Berlin Wall“.

Die passt zwar nicht ins historische Schema, doch das spielt keine Rolle für die US-Kids, die noch nicht einmal wissen, auf welchem Kontinent sie sich befinden. So tragen die Mauerschützen die Masken von Angela Merkel, David Beckham und Mahatma Gandhi. Im Zickzack rennen die Parkbesucher über einen glitzernden Parcours. Scheinwerfer leuchten das Gelände aus, „Achtung!“, schnarrt ein Megaphon. Am Ende des Todesstreifens müssen die Schüler die Mauer erklimmen. Sie ist nur anderthalb Meter hoch, doch der Versuch, zwei besonders dicke Mädchen unter unablässigem Platzpatronenbeschuss in den freien Westen zu hieven, erfordert die praktische Solidarität der gesamten Gruppe.

Nun haben sich aber alle erst mal eine Stärkung verdient. Jeder Stempel berechtigt zu einer freien Portion am Stand der „Waffel-Ess-Ess“, wahlweise mit „Blood and Honor“ (Kirschgelee und Vanilleeis) oder mit „Roehm’s Revenge“ (Zimt und Zucker). Während sie essen, höre ich die Besucher angeregt diskutieren: Sie zeigen sich sichtlich beeindruckt – so schlimm hätten sie sich das alles im Leben nicht vorgestellt. Eines der dicken Mädchen weint – ich weiß nicht, ob vor Ergriffenheit oder vor Erschöpfung. Das laute Heulen des Fliegeralarms bereitet der Pause ein jähes Ende.