Tabletten-Tauziehen

Bundesverfassungsgericht macht Weg für Ausstrahlung des Contergan-Films „Eine einzige Tablette“ frei

Der WDR-Film „Eine einzige Tablette“ über den Contergan-Skandal darf im Oktober in der ARD gezeigt werden. Das Bundesverfassungsgericht wies gestern zwei Eilanträge gegen die Ausstrahlung zurück. Damit ist das seit 2005 laufende Tauziehen um das TV-Projekt (Regie: Adolf Winkelmann) wohl endgültig entschieden.

Sowohl der ehemalige Contergan-Hersteller Grünenthal als auch der Opferanwalt Karl-Hermann Schulte-Hillen, an dessen Leben sich der Film anlehnt, hatten mehrfach versucht, die Ausstrahlung zu verhindern. Schulte-Hillen, selbst Vater eines geschädigten Sohnes, hatte Ende der Sechzigerjahre als Kläger im Prozess gegen den Pharmakonzern gefochten, sah aber jetzt durch den Film seine Persönlichkeitsrechte verletzt. Das Schlafmittel Contergan war 1961 vom Markt genommen worden, nachdem tausende Mütter missgebildete Babys geboren hatten.

Das Verfassungsgericht sah Schulte-Hillens Persönlichkeitsrechte schon deswegen nicht berührt, da der Film-Anwalt für die Entschädigung seiner behinderten Tochter kämpft – für die Karlsruher Richter genug der Verfremdung, zumal im Vor- und Abspann ausdrücklich auf den fiktionalen Charakter hingewiesen werde.

Das Verfassungsgericht macht allerdings in seiner Begründung deutlich, dass diese Verfassungsbeschwerde „weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet“ sei. Allein der Eilantrag wurde abgelehnt, der Film kann also nach wie vor verboten werden – nach der Ausstrahlung. „Doch dann werden die Persönlichkeitsrechte meines Vaters bereits verletzt sein“, sagte Sven Schulte-Hillen, Sohn und Anwalt von Karl-Hermann Schulte-Hillen, gestern der taz.

Auch Grünenthal ist sauer: Für den geschäftsführenden Gesellschafter Sebastian Wirtz scheint die Entscheidung „weniger von rechtlichen als von medienpolitischen Gesichtspunkten geprägt. Wir erhalten jetzt Schläge und es wird erst hinterher entschieden, ob dies zu Recht geschah“, heißt es in einer Mitteilung des Unternehmens.

Dem Gericht ging es in seiner Entscheidung vor allem um eine Abwägung der Folgen für beide Parteien. Demnach muss aber das Persönlichkeitsrecht aufgrund der zeitgeschichtlichen Relevanz des Themas – Contergan wurde vor 50 Jahren eingeführt – zurückstehen.

„Es liegt nicht an mir, das Verfassungsgericht zu kritisieren, aber ich halte das Urteil für eine politische motivierte Entscheidung“, so Sven Schulte-Hillen. Der WDR habe nie vorgehabt, das Jubiläum zu nutzen, vielmehr habe erst der Rechtsstreit den ursprünglich bereits für den vergangenen Herbst geplanten Sendetermin verzögert.

Der WDR begrüßte wie zu erwarten das Urteil. „Das Gericht in Karlsruhe stützt seine Entscheidung maßgeblich auf den hohen Stellenwert der Rundfunkfreiheit“, sagte Intendantin Monika Piel. Der WDR werde „insbesondere die Betroffenen und ihre Schicksale in den Mittelpunkt stellen“.

Der Bruder von Sven Schulte-Hillen ist einer dieser Betroffener. Er sei jedoch, so der Anwalt, „alles andere als begeistert“.

SARAH STRICKER