Schwingende Zugaben

Es ist ja der Ton, der die Musik macht, und in dieser Hinsicht muss man gleich wieder unterscheiden, welchen Ton man denn nun meint: Vom Keller herkommend hätte man zuerst die Untertöne. Die sich eher lichtscheu geben und ganz nebenbei was raunen, was so gar nicht gesagt worden ist, eigentlich aber halt doch gesagt werden musste, in den beiklingenden Untertönen eben. Subtiler noch die Zwischentöne. Nuancen nur. Und keine Faust, mit der man mal dreinschlagen könnte. Also tendenziell überflüssig, wie der Liedermacher Franz Josef Degenhardt im Achtundsechzigerjahr mal harsch gereimt verkündet hat: „Zwischentöne sind nur Krampf im Klassenkampf.“ In der Höhenlage aber wird es richtig interessant mit den Obertönen, weil ohne die normalerweise gar nichts geht in der Musik, obwohl man sie eigentlich nicht hört. Obertöne sind also da und doch nicht da, und wie jeder Zauber kann das physikalisch erklärt werden: Obertöne sind die notwendig mitschwingenden Zugaben zu einem Grundton, der im Ohr dann erst durch die Obertöne in seiner Klangfarbe bestimmt wird. Und manchmal, in bestimmten Fällen, können die Obertöne eben doch einzeln hörbar gemacht werden.

Da ist also nichts geheimnisvoll mit den Obertönen, und ein Zauber bleibt es allemal, dem auch Arnold Dreyblatt erlegen ist, der in New York geborene und seit den Achtzigern vornehmlich in Berlin lebende Komponist und Künstler (mit seiner biografisch begründeten Installation „My Baggage“ ist er Teil der frisch eröffneten „Heimatkunde“-Ausstellung im Jüdischen Museum). In seiner Musik sind die Obertöne sein spezielles Forschungsfeld. Wie einen Besuch in einem Spiegelsaal darf man sich Dreyblatts Kompositionen vorstellen, in dem man mit der Übersicht schon auch den Kopf verlieren kann, so, wie sich die Töne immer neu facettieren in einer sinneverwirrenden Vielfalt, die sich aus ganz schlichten und obstinat durchgehämmerten Motiven speist. Und weil das halt Minimal im verschärften Hardcorezugriff ist, hat das nichts Verhuschtes. Das rockt: „This music will rattle your skull and shake the worms out of your apples“, wie es mal ein Kritiker fasste.

Den zurechtschüttelnden Schädel-und-Würmer-Test kann man in der Charlottenburger Galerie Vittorio Manalese machen, wo Arnold Dreyblatt am Montag mit seinem Trio zu einem seiner eher raren Konzerte antritt. Bei der Versuchsanordnung „Kunst als Klang“, eine Konfrontation auch von Avantgarde- und experimenteller Clubmusik: Neben Dreyblatt ist an dem Abend so noch Natalie Beridze (Intro: „Zeitloses Ambient-InterRail“) zu hören. THOMAS MAUCH

■ Arnold Dreyblatt Trio: Vittorio Manalese, Montag, 21 Uhr. 17 €