Auf Augenhöhe reden

ESPERANTO Ein paar hundert BerlinerInnen beherrschen die Sprache, die einmal alle Völker der Welt verbinden sollte. Dazu kam es nie – aber die Sprecher-Gemeinde ist sehr lebendig

„Esperanto ist ein Filter für spannende Menschen“

FELIX ZESCH, ESPERANTIST

VON JULIA FIEDLER

Der kleine Raum im Lichtenberger Esperanto-Haus füllt sich. Auf dem Tisch stehen Orangensaft, Kekse und russische Bonbons. „Saluton!“ schwirrt es immer wieder durch den Raum. „Hallo“ heißt das auf Esperanto. Manche kennen sich, andere sehen sich an diesem Abend zum ersten Mal. Die „Jauda Rondo“, die Donnerstagsrunde, ist seit über 30 Jahren feste Anlaufstelle für Esperantisten aus aller Welt.

Rund 300 junge Menschen gehören der Esperanto-Jugend Berlin an, 100 Mitglieder hat der Erwachsenenverband Berlin-Brandenburg. „Aber nicht alle Esperantisten kommen zu uns“, sagt Felix Zesch von der Esperanto-Jugend. „Keiner weiß, wie viele Menschen Esperanto sprechen.“

Zesch sitzt neben einem Porträt von Ludwik Lejzer Zamenhof. Der Pole erfand 1887 die Plansprache. Seine Vision: eine neutrale, leicht erlernbare Sprache, mit der sich die Völker der Welt verständigen können. Wer Esperanto hört, fühlt sich an Spanisch erinnert, manchmal auch an Italienisch, Latein oder Französisch. Rund 80 Prozent der Wortwurzeln stammen aus romanischen Sprachen. In die Grammatik sind germanische und außereuropäische Sprachen eingeflossen, auch Japanisch.

Chuck Smith ist englischer Muttersprachler. Der 31-Jährige stammt aus den USA und lebt seit drei Jahren in Berlin. „Ich will anderen Menschen die Wahl geben, ob wir in Englisch oder Esperanto sprechen“, sagt Smith, der heute an der Runde teilnimmt. „Wenn ich mit jemanden Esperanto spreche, unterhalten wir uns auf Augenhöhe, weil beide die Sprache erst später gelernt haben.“ Aber nicht nur deshalb ist Smith seit zehn Jahren Esperantist. „Man fühlt sich nicht so fremd“, sagt er. „Im Ausland lernt man leicht Menschen kennen.“

So auch 2002, als Smith in die Nähe von Duisburg reiste und Judith Meyer traf – seine heutige Freundin. Ihr Name stand im „Pasporta Servo“, einem kleinen Büchlein, das die Adressen von Esperantisten aus aller Welt auflistet. Wer einen von ihnen kontaktiert, findet schnell einen Schlafplatz oder jemanden, mit dem er das Land kennenlernen kann. Denn Esperanto ist mehr als eine Sprache, es ist ein Netzwerk. „Ein Filter für spannende Menschen“, sagt Felix Zesch.

Der 27-Jährige trifft sich regelmäßig mit jungen Esperanto-Sprechern in Berlin. Nicht alle sind Deutsche. Heute sind eine Ukrainerin, eine Russin, ein Pole und eine Kanadierin gekommen. Häufig entstehen Freundschaften, manchmal eben auch Liebesbeziehungen.

Viele Neulinge lernen Esperanto über das Internet, auf Webseiten wie lernu.net oder per E-Mail-Freundschaft. Manche besuchen den Wochenendkurs von Felix Zesch, der seit 12 Jahren Esperanto spricht. „Nach zwei Tagen kann man sich verständigen“, sagt der Logistikstudent. Denn Esperanto ist einfach: Verben werden regelmäßig konjugiert. Es gibt nur einen bestimmten Artikel: la. Und die Aussprache ist eindeutig – jeder Buchstabe entspricht nur einem Laut.

Endlich vernetzt

Als Roland Schnell Esperantist wurde, gab es noch kein Internet. Der 56-Jährige lernte mit einem Buch und über Brieffreunde. Vor 30 Jahren kam er nach Berlin und organisierte Veranstaltungen in der Villa Kreuzberg. Heute gibt es mehr Möglichkeiten. „Durch das Internet sind wir besser vernetzt“, sagt Schnell. Allein in Berlin treffen sich regelmäßig sechs Gruppen, um sich auf Esperanto auszutauschen. Auch ein paar Muttersprachler gebe es schon in Berlin, so Schnell. „Das sind meistens Kinder von internationalen Paaren, die sich durch Esperanto kennengelernt haben.“

Bedauern die Esperantisten, dass ihre Sprache auch nach über 100 Jahren noch nicht als Weltsprache bezeichnet werden kann? Felix Zesch jedenfalls nicht: „Ich spreche oft Esperanto, wenn andere mich nicht verstehen sollen“, sagt er und grinst. „Aber man tritt auch mal ins Fettnäpfchen – wenn plötzlich doch jemand die Sprache versteht.“