WIR:HIER

Kapitel 11

Happy birthday to you, happy birthday, lieber Felix …“

Wunderkerzen blitzten auf und bildeten ein Spalier für Matteo, der, gefolgt von fünf Mädchen, in die Mitte vor Felix tänzelte. Szusza, Cem und Laura sprangen neben Matteo, die anderen standen im Halbkreis herum und wedelten mit den Händen, bis Matteo anfing zu singen:

Yep yep, ich lass mich heut Abend blicken

ich komm gut geschmückt in den Laden geritten

alle tanzen, die Damen sind echt entzückend

’n ganzes Backblech voller Sahneschnitten

die Torten sch-schütteln ihre Schrippen

sch-schütteln ihr Gold aufn Rippen

sch-sch-schütteln ihr Holz vor den Hütten.

Die Mädchen schüttelten, was das Zeug hält, alle wippten und sangen mit, auch die Jungs schüttelten sich vor Felix, bis der aufsprang und den Gesang übernahm:

MAMA! Zeig mir dein Gepäck!

BABY! Komm, schüttel Bug und Heck!

PERLE! Dein Tisch ist gut gedeckt,

Schüttel deinen Speck, ah, schüttel deinen Speck …

Das Singen und Hüpfen ging in allgemeines Gekreische und Gelächter über, Felix wurde umarmt, gedrückt, geküsst und beglückwünscht. „Wo ist der Sekt?“ Zwei Flaschen kreisten, und dann bekam Felix das Gemeinschaftsgeschenk: zwei Karten für das kommende Splash-Festival.

Nachdem sich alle beruhigt und wieder ums Feuer versammelt hatten, fing Mara an sich zu beschweren. Sie fand, die ganze Choreografie sei total mies gelaufen.

„Mann, wir geben uns solche Mühe und ihr Vollpfosten versaut alles. Wir hatten ausgemacht, dass Nuri und Deniz als Erste laufen. Das haben wir mindestens zehnmal besprochen, und wer hat ihren Einsatz verpasst: Nuri! Erst einen auf wichtig machen, um dann zu kneifen. Das war das letzte Mal, das allerletzte Mal, dass ich überhaupt nur den kleinen Finger krumm mache. Ich schwöre!“

Es dauerte eine halbe Stunde, bis sie den anderen glaubte, die sich wortreich für die Organisation bedankten und ihr versicherten, dass ohne sie gar nichts laufen würde.

Die Themen in der nächsten Stunde: aktuelle Apps, Computerspiele, wie schrecklich der Unterricht von Frau Kontor ist, was wer nach dem Abi vorhatte, die geplante Jakobswegwanderung der Eltern von Felicitas, Fußball, Jobs, Musik, die letzte Staffel von „Breaking Bad“ und „Homeland“.

Als sich nach und nach die Liebespaare zurückzogen, griff Szusza eine neue Cola-Dose und rutschte zu Cem rüber. „Wenn Mara mal heiratet, das kann ich mir so gut vorstellen, wie die ihren Kerl zur Sau machen wird. ‚Du hast den Hochzeitstag vergessen, Schatz, du böser, böser Junge. Nie lobst du mich genug, obwohl ich IMMER alles mache.‘ Kotz!“

„Ach komm, Mara hat es immerhin übernommen, sich um alles zu kümmern.“

„Stimmt, aber das macht sie nicht wegen Felix. Sondern damit sie sich noch viel toller finden kann als sowieso schon. Na ja, ist auch egal. Lass uns lieber noch mal zum See runter.“

Cem war einverstanden, sie schlenderten zum Steg und ließen die Füße im schwarzen Wasser baumeln.

„Voll der Kitsch hier, oder? Mondlicht, Seerosen, Fledermäuse. Was ist jetzt eigentlich mit der Band?“

„Wegen Matteo und Laura?“

Szusza nickte. „Haben die dir was erzählt? Und wann ist überhaupt der Senatswettbewerb?“

„Nö, ich weiß nichts. Oder doch, sie sind wohl verabredet. Aber sonst – keine Ahnung. Der Wettbewerb ist erst Ende November. Und ich finde, Goldstück probt ganz normal weiter wie bisher. Die klären das schon.“ Er machte eine Pause. „Ich fand das übrigens eine Superidee von dir mit dem Contest.“

„Echt? Ich dachte, es ist eigentlich bescheuert. War nur so dahingesagt. Aber ihr seid da sofort drauf eingestiegen, da konnte ich nichts mehr sagen.“

„Klar: Du konntest nichts mehr sagen.“

„Ist die Wahrheit. Wallah. Sonst hört doch auch niemand auf das, was ich sage.“

„Auf wen setzt du?“

Szusza spritzte Wasser mit den Füßen hoch. „Keine Ahnung. Laura! Die will immer gewinnen. Mir wäre lieber, sie siegt, als Matteo. Ich hab jedenfalls Bock da aufzutreten.“

„Ja, weil du immer gewinnen willst!“

Eine Sekunde später spürte er Szuszas kräftige, kleine Hand auf seinem Rücken, und bevor er sich über die plötzliche Berührung wundern konnte, landete er im kalten See.

Szusza stand auf dem Steg und lachte. „Sorry. War Absicht.“ Dann sprang sie mit einer Arschbombe hinterher.

Gegen elf am nächsten Morgen kochte der erste Kaffee auf dem Herd, zerknautschte Gesichter krochen aus den Zelten und riefen nach Cola, Kippen und Kopfschmerztabletten. Szusza sah aus, als hätte sie überhaupt nicht geschlafen, und Felix hatte es nicht mehr bis in seinen Schlafsack geschafft. Er lag mit in den Kniekehlen hängenden Shorts auf der feuchten Wiese und schnarchte leise vor sich hin.

„Solange er schnarcht, ist alles okay.“

„Mach schnell ein Foto.“

„Alter, der ist beim Hoseausziehen hingefallen und einfach liegen geblieben. Krasse Scheiße.“

Bis zum späten Nachmittag trödelten sie vor sich hin oder versuchten ihren Kater auszuschlafen, dann fingen sie an, die Zelte einzupacken, und sprangen noch mal in den See. Zum Schluss gab es Streit um den Abwasch und das Aufräumen. „Das Klo putzt auf jeden Fall einer von den Jungs. Ihr seid so eklig, nicht zu fassen.“

Erst als die letzte Gruppe ihren Kram ins Auto von Fabian packte, bemerkten sie, dass jemand fehlte.

„Wo sind Laura und Matteo? Hat irgendjemand die seit heute Nacht gesehen?

Sarah Schmidt publizierte bereits diverse Bücher und ist in zahlreichen Anthologien vertreten. Ihr aktueller Roman „Eine Tonne für Frau Scholz“ ist im Verbrecher Verlag erschienen und in der Hotlist der 10 besten Bücher aus unabhängigen Verlagen 2014. Für die taz schreibt sie den Fortsetzungsroman WIR:HIERwww.sarah-schmidt.de