Ein Reihenhaus voll künstlerischer Risiken

Seit 18 Jahren betreibt Heide Marie Voigt in einer nüchternen Bremer Stadtrandsiedlung eine Frauengalerie. Ihr Wohnzimmer, zum „white cube“ umgebaut, steckt derzeit voller „landart“ der Französin Violaine Laveaux. Die wiederum sucht im „y“ nach der künstlerischen Urform

Von Vorgärten soll man sich nicht täuschen lassen. Steril gestutzte Rasenflächen zieren die Reihenhäuser an der Bremer Georg-Strube-Straße, doch hinter den Fassaden wohnen passionierte Vernissage-BesucherInnen: Einige der Nachbarn kommen gern zu den ambitionierten Ausstellungen, die Heide Marie Voigt regelmäßig, wenn auch nicht mit quantitativ durchschlagendem Erfolg veranstaltet. Sehr viele Menschen würden in ihre „Zimmergalerie“ allerdings gar nicht hineinpassen.

Heide Marie Voigt bewohnt das letzte Haus eines kleinen Seitenwegs der Strube-Straße in Kattenturm. Fremde ziehen in der Stadtrand-Siedlung aus den Sechzigern unwillkürlich den Kopf ein, der Landeanflug auf den Bremer Flughafen ist hier in seiner Endphase. In die andere Richtung wird der Stadtteil von Autobahnzubringern und ausufernden Gewerbeansiedlungen begrenzt.

Heide Marie Voigt fühlt sich hier wohl – zumindest in ihrem Haus. Wo andere Leute das Wohnzimmer haben, hat sie ihre Galerie. Immerhin 40 Quadratmeter, ein perfekter white cube mit großzügigen Durchblicken zum Garten. Der ist als Ausstellungsraum nicht zu vernachlässigen. Im Augenblick hat Violaine Laveaux hier ihre landart-Installationen aufgebaut: Ein weitverzweigter Ast, mit Tusche überzogen, strahlt schwarzglänzend auf einem weiß gepuderten Viereck. „Ein dreidimensionales Schriftzeichen“, sagt die Französin. Heide Marie Voigt hat sie beim Pilgern kennengelernt. Als sie vergangenes Jahr auf dem Jakobsweg durch Cajarc kam, sah sie eine Ausstellung von Laveaux und hinterließ eine Interessensbekundung im Gästebuch – so einfach kann ein Galeristinnenleben sein.

Man kann es auch nüchtern ausdrücken: Voigt muss damit kein Geld verdienen – das hat sie jahrzehntelang als Lehrerin getan –, viel Arbeit macht die Galerie trotzdem. „Ich wollte mit meiner Kunst eben nicht allein bleiben“, sagt sie. Und: „Ich will Frauen Mut machen, Raum zu greifen.“ Als Galeristin fördert Voigt im Speziellen Künstlerinnen. Acht Ausstellungen im Jahr, multipliziert mit 18 Jahren – da kommt einiges zusammen. Auch die Erfahrung, dass die Frage „ist Kunst per se weiblich?“ – ihr unlängst vom Bremer Frauenportal gesche.online gestellt – ziemlich absurd ist. Mal abgesehen vom grammatischen Geschlecht.

Eines hat Vogt allerdings schon beobachtet: Es gäbe eine verbreitete weibliche „Hobbykunst“, die für Frau selbst „sehr befriedigend“ sei – „sich aber nicht durchringt zu einer künstlerischen Recherche“. Der eigene Anspruch ist damit klar benannt.

Von Vorgärten soll man sich nicht täuschen lassen. Vor Heide Marie Voigts Haus schweben tiefrote Ypsilons, aber es sind keine. Sondern Urzeichen. So sah die allererste bekannte Pflanze aus, erklärt Violaine Laveaux: die vierhundert Millionen Jahre alte cooksonia caledonica. Wurzel- und Blätterlos. Umgedreht werden Pfeile draus. Sie weisen in das Innere des risikofreudigen Reihenhauses. HENNING BLEYL

Galerie Kattenturm: Georg-Strube-Straße 39, Bremen, ☎ (0421) 87 35 97. Am 11. September (19.30 Uhr) findet dort im Rahmen der Ausstellung eine Haikulesung mit Harfenimprovisationen statt. Eine Parallelausstellung von Violaine Laveaux wird heute um 18 Uhr im Bremer Institut Français eröffnet