OFF-KINO

Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

LARS PENNING

Ob man das heute noch so unverblümt ausdrücken würde? „What do you go for? Go see the show for? Tell the truth, you go to see those beautiful Dames!“ Das jedenfalls singt Hauptdarsteller Dick Powell in dem Musical „Dames“ (1934) von Ray Enright und Busby Berkeley. Letzterer inszenierte die opulenten Musiknummern, und man kann Powells Textzeile auch als Motto des Choreografen verstehen: Berkeley suchte seine „Chorus-Girls“ nämlich stets nach gutem Aussehen aus. Ihm ging es nicht um brillante Solotänze, sondern lediglich um synchronen Stepptanz und das Arrangieren der Tänzerinnen in geometrischen oder kaleidoskopartigen Mustern. Wichtig war für Berkeley, dass seine Arrangements für die extrem bewegliche Kamera gut aussahen. Später haben Interpreten in diesem Verlust an Individualität ein totalitäres Element sehen wollen, doch der Vergleich mit Leni Riefenstahls Parteitagsfilmen ist ziemlich weit hergeholt. Schließlich wird in „Dames“ kein vermeintlicher Führer bejubelt, sondern – in einem Traum Dick Powells – allenfalls die charmante Schauspielerin und Tänzerin Ruby Keeler: In der Musiknummer „I Only Have Eyes for You“ multipliziert sich die Angebetete ins Hundertfache – alle Tänzerinnen tragen Ruby-Keeler-Masken und setzen am Ende ein Ruby-Keeler-Riesenpuzzle zusammen (OF, 15. 1. Arsenal).

Dem Werk des Perfektionisten Stanley Kubrick widmet sich eine Retrospektive im Babylon Mitte, in dem auch das vielleicht noch nicht ganz so perfekte Frühwerk „Killer’s Kiss“ (1955) zu sehen ist. Eine Kritik soll das übrigens gar nicht sein: Die kleinen Ungereimtheiten und Zufälle im Ablauf der Handlung waren wohl vor allem ökonomisch bedingt – für überflüssige Erklärungen blieb in dem kleinen Film noir, der die Geschichte des abgehalfterten Boxers Davey erzählt, der gemeinsam mit dem Taxigirl Gloria ein neues Leben beginnen will und Ärger mit einem eifersüchtigen Gangster bekommt, weder Zeit noch Geld. Denn Kubrick drehte den Film weitgehend als Ein-Mann-Unternehmen, war nicht nur Regisseur, sondern zugleich auch Koproduzent, Drehbuchautor, Kameramann und Cutter. Dafür besitzt „Killer’s Kiss“ eine Lebendigkeit, die in späteren Filmen nicht mehr spürbar ist und vor allem in Kubricks Tätigkeit als Fotoreporter in der Zeit von 1946 bis 1950 gründet. So hatte er bereits Ende der 1940er Jahre eine Fotoreportage über das Boxen für das Look-Magazin gefertigt und inszeniert als Kenner einen Kampf Daveys mit außerordentlicher Dynamik: Kubricks Kamera steigt direkt zwischen die Boxer in den Ring, und Daveys Gegner schlägt auf sie ein wie auf seinen Kontrahenten – bis zum für Davey bitteren Ende, wenn die Kamera mit ihm zu Boden geht (OF, 18. 1.–19. 1., 21. 1.).