Auch die Sterne schauen zu

Theater für eine Siedlung: „Das Hufeisenprojekt“ von Ewan Forster & Christopher Heighes berauscht sich am utopischen Überschwang der Moderne. Mitten zwischen den Häusern von Bruno Taut

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Was können diese beiden Männer schwärmen. Wenn Ewan Forster und Christopher Heighes über den Architekten Bruno Taut und seine Hufeisensiedlung in Berlin Britz reden, wird dies zu einem magischen Ort. Ihre englischen Sätze sind so voll von Begeisterung über den Rhythmus, den Fassadenbänder und Farben in Tauts Siedlung entwickeln, dass man am liebsten gleich loslaufen und zwischen den Häusern und Gärten herumstromern will. Wusste man, dass der Teich, um den sich die dreigeschossigen Wohnhäuser wie ein Hufeisen biegen, auf einen Gletscher der letzten Eiszeit zurückgeht? Gleichen die leuchtend blauen Balkone, die zu jeder Wohnung gehören, nicht den Rängen eines antiken Amphitheaters? Ist es da nicht geradezu zwingend, genau hier ein Theaterstück aufzuführen, das der stummen Architektur ein beredtes Echo gegenüberstellt?

Seit beinahe 14 Jahren verfolgen die beiden englischen Künstler genau das: die menschlichen Ideen, die sozialen Hoffnungen, die ästhetischen Ideale, die in Architektur, Stadt- und Landschaftsplanung Eingang gefunden haben, wieder in ein Prickeln und Funkeln der Gedanken zu versetzen. Architekten, Pädagogen, Sozialreformer sind die Helden ihrer site specific performances, die jeweils nur kurz aufgeführt werden – schon weil die historischen Gebäude und Parks eine längere Nutzung oft nicht zulassen. Bisher arbeiteten sie ausschließlich in England und erfanden für jedes ihrer Projekte ein anderes Format. Ein Parkspaziergang führte auf die Spuren von Friedrich Froebel, dem Begründer der Kindergartenbewegung; vor einer fiktiven Wettbewerbsjury verteidigte der Architekt einer Kathedrale sein Konzept. Theater als Rezeptionsform der Architektur: nicht zuletzt das Spleenige ihrer Wissensvermittlung nimmt für sie ein.

Das „Hufeisen-Projekt“ ist ihre erste Arbeit in Deutschland. Die Wohnungsbaugesellschaft Gehag hat ihnen einen leerstehenden Laden über dem Bruno-Taut-Seniorenclub als Workstation zur Verfügung gestellt. Von hier aus sind sie ausgeschwärmt, um unter Anwohnern und Bezirkshistorikern nach Zeugen für die Zeit des Aufbruchs zu suchen, als Ideen für neue Organisationsformen des Sozialen nicht nur in der Architektur Einzug erhielten. So sind denn kurze dokumentarische Einspielungen über Schulmodelle, die in der Bauzeit der Siedlung in Neukölln entstanden und sich für größere Sinnlichkeit des Unterrichts und mehr Chancengleichheit in der Bildung einsetzten, Teil ihres Stückes geworden.

Vor allem aber haben Ewan Forster und Christopher Heighes einen Text – „Die Erde – Eine gute Wohnung“ – geschrieben, der Motive aus Tauts Biografie, seinen utopischen Entwürfen und der Britzer Geschichte miteinander in einer Collage verschmilzt. Einer der Erzählfäden ist „Der Weltbaumeister“, eine Dramenskizze, die Taut 1919, sechs Jahre vor seinen Entwürfen für das Hufeisen, mit 29 Zeichnungen und einigen fantastischen und euphorischen Bildunterschriften entworfen hatte. Beschrieben wird eine Art Vision, die von kosmischen Erlebnissen im unbegrenzten Raum erzählt, ein Trip von Farben, Klängen und Formen, ein rauschhaftes Auseinanderwachsen von abstrakten und konkreten Dingen. „Die Erdkugel wölbt sich herauf – ist (…) mit leuchtendem Grün bedeckt – (…) die hellgrüne Erddecke hebt sich – aus ihr wachsen Menschenhütten.“

Solche Träume hat der Architekt, der sich bei Forster & Heighes auf einer einsamen japanischen Insel wiederfindet, angelehnt an Tauts Weg nach Japan 1933. Die Insel ist als ein Floß aus Bambus in den Teich inmitten der Hufeisenhäuser gebaut und die Schauspieler rudern zu ihr in einem schweren Kahn. Die Bild- und die Textebene spielen dabei mit einem Gleiten zwischen den Zeiten, die Schauspieler bilden zum einen eine junge Familie, die recht freudig in die Siedlung einzieht, und zum anderen allegorische Figuren, die dem Architekten auf seiner imaginären Reise begegnen. Die Szenen sind dabei keine bloße Illustration der Erzählung, sondern eher eine Übersetzung ihrer alles überhöhenden Sprache ins Alltägliche. Die Figuren auf zwei Beinen bieten auch eine Art Korrektur des kopflastigen Überschusses.

Es ist verrückt: Viele der Gedanken, die der Architekt Bruno Taut und die Gründer von genossenschaftlichen Wohnmodellen mit Reformpädagogen oder einfach nur linken Genossen in den Zwanzigerjahren teilten, wirken bis heute rational, aufklärerisch und noch immer erstrebenswert. Und doch ist es oft nur ein kleiner Schritt, bis ihre Vorstellungen vom unmittelbar Lebenspraktischen abheben und sich ins Kosmische schwingen. Vielleicht war ein solches Ausschwärmen ins Ungefähre notwendig, um sich von Normen und Konventionen zu befreien, die soziale Hierarchien nur zementierten und reproduzierten.

Zu den Proben am Teich fanden sich nicht nur die vier deutschen Schauspieler ein, sondern auch Enten, Frösche, ein Fuchs und ein Reiher, die das fremde Geschehen in ihrem Territorium ebenso gelassen hinnahmen wie die Spaziergänger, die hier allabendlich ihre Hunde eine Runde führen. Für sie ist dieser Ort einfach ein Stück Vertrautheit, das jetzt von Augen aus der Ferne in den Blick genommen wird. Bei hoffentlich trockenem Wetter.

Am 7./8./9. September, ab 19.30 Uhr, in der Hufeisensiedlung, Höhe Fritz-Reuter-Allee 46. Karten 25 90 04 27