Politik der Bescheidenheit

BASKETBALL Alba Berlin hat sich neu erfunden – und ist fast schon wieder so gut wie in alten Tagen

Der Fighting Spirit muss immer wieder neu befeuert werden, fordert der Trainer Saša Obradovic

AUS BERLIN JOHANNES KOPP

Der Plan klingt schlicht. Akeem Vargas sagt: „Wir werden gegen Real Madrid wie immer ins Spiel gehen, aggressiv verteidigen und dahin gehen, wo es wehtut.“ Warum sollten sich die Berliner auch vor der Partie heute (20.15 Uhr/Sport1) gegen den Euroleague-Finalisten von 2013 und 2014 den Kopf über taktische Winkelzüge zerbrechen? Dank ihres leidenschaftlichen Auftretens im Grenzbereich gelang den Berlinern bereits zu Jahresbeginn ein sensationeller Heimerfolg gegen den amtierenden spanischen Meister FC Barcelona (80:70). Mit dem Einzug in die Runde der Top 16 der europäischen Königsklasse hat das Team das hoch gesteckte Saisonziel erreicht. Und zur Überraschung aller führt man aufgrund dieses Einsatzes auch in der Bundesliga das Klassement an.

Geschäftsführer Marco Baldi bezeichnet diesen von der Konkurrenz gefürchteten Stil als „sehr aufwendig“. Und er schwärmt: „Es macht Spaß, zuzuschauen, weil die durch die Halle fliegen.“ Alba ist eine erstaunliche Metamorphose gelungen. Der einstige Primus der Bundesliga, den es früher zu ärgern galt, ist selbst zum ständigen Störenfried geworden. Aus Sicht von Baldi kann der Verein so trotz finanzkräftigerer Vereine wie Bamberg und Bayern München wettbewerbsfähig bleiben.

Vor vier, fünf Jahren schon, erklärt Baldi, sei die Einsicht gereift, dass man nicht mehr „mit dem Glorienschein der Vergangenheit“ punkten kann. Doch man habe sich damals an der Quadratur des Kreises versucht. Trotz der im Vergleich zur aufstrebenden Konkurrenz geringeren Mittel wurde der Erfolgsmaßstab nicht verändert: der Meistertitel und die Euroleague-Qualifikation galten weiterhin als das Nonplusultra. Und nebenbei sollten noch deutsche Identifikationfiguren etabliert werden. Die seit 2012 bestehende Ligaregel, dass sechs Deutsche im Zwölfer-Kader stehen müssen, übte auch Druck aus. Als dann vor zweieinhalb Jahren Bayern München auf einen Schlag gleich vier Spieler abwarb, darunter zwei deutsche Nationalspieler, habe man sich zum Schnitt entschlossen, erzählt Baldi. Alba wurde unsanft dazu gezwungen.

Die Ziele wurden niedriger gesteckt, die Perspektive bei den Spielertransfers geweitet. Ein Platz unter den besten acht in der Liga sei völlig zufriedenstellend, hieß es vor der letzten Saison. So erst wurde zum Beispiel der Zweitligaspieler und Deutschamerikaner Akeem Vargas für Alba interessant. „Der Verein hat wieder den richtigen Weg gefunden“, sagt der 24-Jährige. Vor seiner Zeit hätten Deutsche kaum Einsatzzeiten bekommen. Nun würde der Klub wieder hungrige einheimische Spieler langfristig an sich binden. Der aus Hamburg kommende 19-jährige Ismet Acpinar wurde vergangene Saison gleich für vier Jahre verpflichtet. Den Ansbacher Alex King, der bis dahin nur in Würzburg Erstligaerfahrung gesammelt hatte, stattete man mit einem Dreijahresvertrag aus. In diesem Sommer band man für dieselbe Zeitspanne Niels Giffey an den Verein, der zuletzt in der amerikanischen College-Liga erfolgreich war.

Im Team von Trainer Saša Obradovic ist Vargas nicht der talentierste, aber er verkörpert den Alba-Ansatz wie kaum ein anderer: Dank seiner Mentalität macht er selbst Spielern mit höchster Qualität das Leben schwer. „Akeem Vargas ist kein Künstler“, sagt Baldi, „aber einer, der hart arbeitet.“ Das ist ganz nach dem Geschmack von Obradovic, der mit seinen Tobsuchtsanfällen an der Seitenlinie den eigenen Spielern das Leben schwer machen kann. „Er pusht jeden ans Limit und manchmal auch darüber hinaus“, sagt Vargas.

Unter dem Serben wurde Vargas in den letzten beiden Jahren zum deutschen Nationalspieler. Seinen Vertrag bei Alba hat er dieser Tage bis 2017 verlängert, „auch aus Gründen der Loyalität“.

Albas Politik der Bescheidenheit trägt Früchte. Mit 14 Siegen hintereinander gelang dem Team der beste Saisonstart seit 14 Jahren. „Aber bislang sind wir zum Glück vom Verletzungspech verschont geblieben“, relativiert Baldi. Wenn wichtige Spieler ausfallen würden, warnt der Geschäftsführer, könne alles auch ganz schnell wieder zusammenbrechen. Das Fundament, auf das der Verein baut, ist fraglos anfällig. Der Fighting Spirit, von dem Obradovic spricht, muss immer wieder neu befeuert werden, Spiel für Spiel. „Um wettbewerbsfähig zu bleiben“, sagt Baldi, „müssen wir ein höheres Risiko eingehen als früher.“