Wider den Ethnokitsch

COMICS Nach der Apartheid entwickelte sich in Südafrika eine Comic-Szene, die längst internationale Anerkennung findet, in Deutschland aber bislang kaum bekannt ist

von Andreas Schnell

Was derzeit in der Spedition zu sehen ist, erinnert auf den ersten Blick an vieles. An amerikanische Pop-Art, an Mangas, an grafische Kunst. Der zweite Blick erst irritiert: „b is for black“ aus dem „Alphabet der Demokratie“ von Anton Kannemeyer zum Beispiel. Da ist der Kopf eines Schwarzen zu sehen, darunter steht eine Definition: „Schwarz, adj., Gegenteil von Weiß, schmutzig unordentlich, ohne Licht, dunkel“ und so weiter. Zwei Bilder weiter dann „W, wie weiß“: „Farbe von Milch oder frischem Schnee, unschuldig, unbefleckt, rein“ und so weiter. Die Definitionen stammen, auch das geht aus den Bildern hervor, aus Chambers & Oxford Dictionary, einem ganz offiziellen englischen Wörterbuch aus dem Jahre 1984. Dazwischen hängt übrigens „n“ wie „nightmare“, also Albtraum: Vier weiße Sänftenträger tragen einen Schwarzen.

Anton Kannemeyer, der auch unter dem Pseudonym Joe Dog arbeitet, ist einer der Gründer des Magazins Bitterkomix, das 1992 aus der Taufe gehoben wurde und zunächst ausschließlich Arbeiten von Kannemeyer und Mitgründer Conrad Botes enthielt. Zuvor hatte es in Südafrika allerhöchstens ein paar Superhelden-Comics gegeben und ein paar Kinderhefte von Walt Disney. Bitterkomix schlug entsprechend hohe Wellen. Zwei Jahre nach der Freilassung von Nelson Mandela, zwei Jahre vor den ersten freien Wahlen in Südafrika eckten die beiden Künstler mit ihren drastischen, oft sexuell expliziten Werken häufig an, die dritte Ausgabe mit dem Titel „Gif“ (Afrikaans für „Gift“) wurde wegen der Obszönität einiger der enthaltenen Zeichnungen verboten, Kannemeyer drohte der Verlust seines Lehrauftrags.

Die Inspiration für die Bitterkomix kam über eine Art „kulturelle Luftbrücke“ nach Kapstadt, wie Comic-Experte Danie Mairas, Journalist und Lyriker, berichtet, der im Rahmen der Ausstellung am Montag, 18 Uhr, in der Villa Ichon aus eigenen Texten liest. Antons Bruder Mark Kannemeyer lebte Ende der 1980er-Jahre in Berlin und schickte von dort „heiße Ware“ nach Südafrika: Comics von Robert Crumb, Alben von Bands wie den Dead Kennedys oder The Fall, Bücher von Charles Bukowski.

Natürlich hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten in Südafrika auch für Comic-Künstler die Situation grundlegend verändert. Anton Kannemeyer stellt seine Arbeiten inzwischen in Galerien aus, nicht nur in Südafrika. Und es hat sich, vor allem in Kapstadt, aber nicht nur dort, eine Szene entwickelt und ausdifferenziert, die ästhetisch auf der Höhe der Zeit ist. Und in Ländern wie Frankreich und den USA, in denen Comics nicht wie in Deutschland ein Schattendasein fristen, sondern als „siebte Kunst“ anerkannt sind, hat man die südafrikanischen Comic-Szene längst entdeckt.

Bislang erschien erst ein südafrikanischer Comic-Band in deutscher Sprache: Karlien de Villiers‘ „Meine Mutter war eine schöne Frau“ fand einen Schweizer Verleger. In Frankreich ist das Werk schon in der dritten Auflage erschienen. Joe Daly, der auch aus dem Umfeld der Bitterkomix stammt, hat bereits mehrere Bände mit seinen psychedelischen Slacker-Abenteuern beim amerikanischen Verlag Fantagraphics veröffentlicht. Immerhin ist für den Sommer nächsten Jahres endlich auch eine deutsche Ausgabe des Bandes „The Red Monkey Double Happiness“ Book geplant.

So ist ein Teil der in der Ausstellung gezeigten Künstler beinahe schon im Mainstream angekommen. Aber es ist auch noch dort, wo auf populäre Ästhetiken wie Anime zurückgegriffen wird, oft etwas speziell Südafrikanisches, was diese Arbeiten so spannend macht: Immer wieder ist der Rassismus, der auch im Post-Apartheid-Südafrika existiert, Thema, die Angst des weißen Mannes vor einer imaginierten schwarzen Sexualität. Und auch die krasse Diskrepanz zwischen Arm und Reich zieht sich durch viele Arbeiten. Genau das hat auch den Kurator der Schau, Gregor Straube, gereizt: „Kein Postkartenidyll, kein Fußball, kein Ethnokitsch! Das war mir wichtig.“

Und tatsächlich zeigt „We‘re not armed – don‘t shoot!“ die Kunstform Comic als hervorragend geeignet auch für politische Kunst, die wiederum im Alltag Südafrikas eine reiche Materialquelle vorfindet. Danie Mairas der zwischen 1994 und 2002 in Bremen und Oldenburg lebte, mittlerweile wieder in Kapstadt lebt und als Texter ebenfalls in der Ausstellung vertreten ist, schildert die südafrikanische Gesellschaft als von komplexen Widersprüchen gezeichnet. Dazu gehört auch, dass es in Kapstadt, das inzwischen eine Art afrikanisches San Francisco geworden ist, eine blühende Gay-Kultur gibt, dass die Stadt als Dorado für Surfer und Slacker gilt – aber zugleich in der Nachbarschaft extreme Armut herrscht.

Am anderen Ende des künstlerischen Spektrums stehen fragile Arbeiten, die zunächst kaum als Comics erkennbar sind – und das auch nur insofern sind, als dass sie Geschichten mit den Mitteln von Grafik und Text erzählen. Wie die Blätter von Sebastian Borckenhagen, die gerade in ihrer Reduktion höchst eindringlich wirken.

■ „We‘re not armed, don‘t shoot!“, bis 16. Oktober, Mi–Fr 16–20 Uhr, Sa & So 14–20 Uhr, Spedition