Krrrrrch

Auch wenn man das beim Einsteigen gar nicht wissen will: Wo gefahren wird, da kracht es auch mitunter. Autos und ihre Fahrer wie Fahrerinnen sind gefährlich, immer noch

VON THOMAS MAUCH

Der kakophonische Schlussakkord. Klirren. Knirschen. Danach besinnungslose Stille.

Die nackten Zahlen: Im Jahr 2006 krachte es auf Deutschlands Straßen 2.232.239-mal. 5.094 Menschen überlebten diese Unfälle nicht. Das Statistische Bundesamt spricht dabei von einer „günstigen Entwicklung“, weil das im Vergleich zum Vorjahr fünf Prozent weniger Getötete waren. Beim historischen Höchststand 1970 waren es noch 21.332 Tote.

Ja, vielleicht hat das Autofahren ein wenig von seinem existenziellen Schrecken verloren, dennoch fordert die Mobilität ihre Bringschuld. Wenn man ins Auto steigt, will man eigentlich gar nicht daran denken.

Der Unfall aber ist Normalität, keineswegs die Ausnahme im Straßenverkehr. „1914 beispielsweise war statistisch betrachtet gerade einmal jedes zehnte in Berlin zugelassene Kraftfahrzeug nicht in einen Verkehrsunfall verwickelt“, schreibt Clemens Niedenthal in seinem soeben erschienenen Buch „Unfall. Porträt eines automobilen Moments“ (Jonas Verlag, Marburg 2007, 143 Seiten, 15 Euro).

Will man nun mit seinem Auto von A nach B, ist der Unfall zuerst schlicht eine Dysfunktion. Eine Störung im Ablauf der Dinge, die so keineswegs eingeplant war. Das reibungslose Funktionieren ist so plötzlich wie gewaltsam aufgebrochen. Damit muss man erst einmal fertig werden.

Im digitalen Unbewussten sucht es sich seine Entladung im Witz: Die Suchmaschinen finden unter dem Stichwort „Unfälle“ als allererste Treffer etliche Seiten, bei denen man sich Autounfälle anschauen kann, die irgendwie lustig anzusehen sein sollen. Ein Crashkuriositätenkabinett.

In der Literatur hat man es dagegen bei diesem Thema gern gewichtiger. Der an sich banale Vorgang Unfall wird in der Regie der Autoren als Fingerzeig genommen. Als Läuterung. Wie beim Helden in Ingeborg Bachmanns Erzählung „Das dreißigste Jahr“. Der überlebt schwer verletzt einen Autounfall, der ihm deswegen als Ausgangspunkt für einen neuen Lebensentwurf gilt.

Man muss offenbar allem einen Sinn geben.

Und deswegen sind Prominente nicht einfach nur auf der Straße verstorben. Mit ihrem Tod sollten sie zumindest geholfen haben, einen Mythos zu begründen. Wie James Dean, der am 30. September 1955 mit seinem liebevoll „Little Bastard“ benannten Porsche Spyder bei Pasa Robles im Norden Kaliforniens – auch von dieser Episode ist in dem „Unfall“-Buch zu lesen – in einen Ford krachte. Dessen Fahrer, Donald Turnipseed, überstand den Crash beinahe unverletzt. Dean war auf der Stelle tot. Was ihn aber nicht nur zum Unfalltoten machte, nicht zum bloßen weiteren Kreuz in der Statistik – sondern zum leiblichen Unterpfand für das beherzte Motto „live fast, die young“. Der Schauspieler lebte und starb es mit seinem Unfall vorbildlich vor.

Alle, die diesem Motto weniger folgen möchten, sind in ländlichen Gegenden, wo zwischen den ins Grüne gesprenkelten Discos nur wenig sonst los ist, nachts eher ungern auf den Landstraßen unterwegs. Die müssen nämlich mitunter für die grausamen Initiationsriten unserer mobilen Gesellschaft Platz bieten. Man weiß doch, dass hier jugendliche Discoraser mit dem entsprechend angesoffenen Mut gern ihre Grenzen austesten.

Mit entsprechendem Geschichtsbewusstsein könnten sie dazu sogar die passende Musik spielen. Anfang der Sechziger gab es in den USA als Zwilling zur Surfmusik das Genre des Autosongs. Während man mit Surf den Badefreuden frönte, ging es im Zweiteren um die Teenagerfreude am automobilen Leben. Als morbide Unterabteilung lieferte man hier die Lieder über Verkehrsunfälle gleich mit. Vorzugsweise mit tödlichem Ende. „Dead Man’s Curve“ hieß zum Beispiel 1964 ein Hit von Jan & Dean.

Und jetzt zum Schmökern auf dem Beifahrersitz: Clemens Niedenthals Buch, ein reich und schön bebilderter Band zum Thema. Mit seiner kulturwissenschaftlich gewitzten Perspektive auf die abrupt entschleunigte Fahrt ist „Unfall. Porträt eines automobilen Moments“ noch eine kleine Automobilgeschichte dazu.

THOMAS MAUCH, Jahrgang 1960, fährt eher selten Auto und ist Redakteur bei der taz