Durch Hollands Sandwüste

Der Nationalpark „De Hoge Veluwe“ liegt im Zentrum des Landes. Eine Endmoränenlandschaft. Die größte private Kunstsammlung Europas ist im Innern des Parks verborgen

Ein Markenzeichen des Nationalparks sind die weißen Fahrräder

VON GUNDA SCHWANTJE

Sobald man die Hand auf die Steine auflegt, beginnen sie zu sprechen. Er spricht Schwedisch, der Basalt, das ist seine Muttersprache, und er erklärt dem Besucher, dass er vor 150.000 Jahren hierher gebracht wurde, als das Eis schmolz. Der steinerne Nachbar aus den belgischen Ardennen gibt Auskunft über seine Biografie auf Französisch. Er ist mit der Maas Richtung Veluwe gereist, und er ist mindestens zwei Millionen Jahre alt. Sieben Migranten sind hier versammelt und stellen sich vor, Steine und Sand, herangetragen durch Wasser, Wind, Eis. Aus Polen, der Nordsee, aus dem Quellgebiet des Rheins kommen sie und eben aus Belgien und Schweden. Alle Migranten sind bestens integriert, sie formen die Landschaft zwischen Arnhem und Zwolle.

Das Museum „Museonder“ im Nationalpark „De Hoge Veluwe“ hatte diesen Einfall mit den sprechenden Steinen und dem Sand. Die Veluwe ist eine Endmoränenlandschaft, gelegen im Zentrum der Niederlande, und im Nationalpark „De Hoge Veluwe“. Sand ist hier im Überfluss vorhanden.

Ich bin mit einem weißen Fahrrad unterwegs, einem der 1.700, die im Nationalpark gratis bereit stehen. Wind bläst über die Heide, es geht flott voran auf dem gut ausgebauten Fahrradweg. 43 Kilometer schlängelt er sich durch Heide und Wälder. Gras überzieht den Sand beiderseits des Weges. Die Niederlande sind das dicht besiedeltste Gebiet Europas. Ein Ruheraum wie Veluwe dadurch umso bedeutender.

Die größte private Kunstsammlung Europas ist im Innern des Parks verborgen, im Kröller-Müller-Museum. Weltberühmt sind die Werke Vincent van Goghs, die hier ausgestellt sind. Helene Kröller-Müller, Kunstliebhaberin und Sachverständige, hat sie gesammelt. Gemeinsam mit ihrem Mann Anton hat sie über die Stiftung „De Hoge Veluwe“ ihr Konzept für Kunst und Natur der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. 1935 war das. Das Museum wurde eigens von dem belgischen Architekten Henry van de Velde entworfen. 87 Malereien und 180 Zeichnungen van Goghs umfasst die Kollektion. Seine Werke sind der Mittelpunkt der Sammlung. Auch Malereien von Piet Mondrian, Pablo Picasso, George Seurat, Bart van der Leck und anderen sind hier zu sehen und ein Skulpturengarten. Skulpturen von Henry Moore, Auguste Rodin, Richard Serra.

Die Gründer des Nationalparks, Helene und Anton Kröller-Müller, waren durch Bergbau, den Besitz von Handelshäusern, Reedereien und Industrieunternehmen steinreich geworden. So konnten sie in ein riesiges Grundstück investieren. Das Ehepaar wollte einen Landsitz, also wurde von 1916 bis 1920 der namhafte Architekt H. P. Berlage angestellt. Jagdschloss St. Hubertus entstand. Ein nationales Denkmal inzwischen.

Ilse Harmelink arbeitet für die Stiftung „De Hoge Veluwe“. Sie erzählt, dass etwa 500.000 Menschen pro Jahr den Nationalpark besuchen. Mit dem Eintrittsgeld wird der Unterhalt bestritten. Ein Markenzeichen des Parks seien die weißen Fahrräder, erzählt Ilse Harmelink. Für Kinder und Erwachsene stehen sie bereit. Das weiße Rad ist eigentlich eine Idee der Provos. Die Stiftung „De Hoge Veluwe“ griff 1975 dieses Konzept auf. Die Idee: Man nimmt ein Rad und stellt es am Ziel einfach ab. Dort bedient sich der nächste und fährt seines Weges. Die Provos, so wurde die niederländische antiautoritäre Bewegung der Sechzigerjahre genannt, haben versucht, dieses Modell in Amsterdam einzuführen.

Der Kiefernwald lichtet sich, das Rad saust den Hügel hinab. Eine gleißend weiße Fläche kommt näher, Treibsand, den Winde zu Dünen verweht haben. Diese kleinen Sandwüsten gibt es überall in der Veluwe, inmitten der ansonsten wasserreichen Niederlande. Vierzig Prozent des Landes liegen unter dem Meeresspiegel, Wasser ist niemals weit, hier jedoch, in der Veluwe, muss man bisweilen 60 Meter tief bohren, um auf Grundwasser zu stoßen. Eine Gegend, die mit dem Klischee der flachen Wiesen, der Flüsse und Kanäle bricht. Vereinzelt krallen sich Kiefern in den Binnendünen fest, altes Holz bleicht aus wie alte Knochen.

Besucher des Parks können auf die Pirsch gehen. Mit dem Fernglas, versteht sich. Mit einem Ranger oder allein. Außer in den Ruhezonen für Wild kann man in „De Hoge Veluwe“ querfeldein schweifen und trifft Rothirsche an, Wildschweine, Rehe, Mufflons, Wildschafe aus Korsika, die Anton Kröller-Müller eingeführt hat. Auch Dachs und Fuchs sind hier zu Hause. Und Vorsicht: Kreuzottern.

Weiter geht’s durch einen Buchenwald zum Ausgang Hoendeloo, zum Naturcamping im Nationalpark. Reservieren ist nicht möglich. 14 Tage kann jeder Besucher bleiben, maximal, und erst einen Monat später erneut wiederkommen. Der Campingplatz ist rustikal mit einem Waschhaus und Spielflächen ausgestattet. Er liegt im Wald. Abends bekomme ich Besuch. Von einem Fuchs. Er steht auf Brot, Käse, Salami. Prächtig und wohlgenährt sieht er aus, und er hat keine Scheu, seine Mahlzeit direkt aus dem Zelt abzuholen, mit einer enormen Selbstverständlichkeit macht er das.

Im „Museonder“ kann man sehen, wie es bei der Familie Fuchs zu Hause aussieht, denn dieses Museum erzählt vom Leben unter der Erdoberfläche. Im „Museonder“ lernt der Besucher auch, dass die Niederlande in den letzten Millionen Jahren jedes mögliche Klima hatten, von warm bis polar, von maritim bis zur Steppe, und dass in der Veluwe Nilpferde lebten und Elefanten. Ihre Knochen, die nun hinter Glas liegen, wurden hier gefunden. Von der kleinen Wüste bestens konserviert.

Öffnungszeiten, Führungen etc. unter: www.hogeveluwe.nl