Echtes Drama findet hier nicht statt

OPERNRESTE Klavierspielen ist auch keine Lösung: David Marton begutachtet in einer Inszenierung von Maurice Maeterlincks „Pelléas und Mélisande“ an der Volksbühne, was in einer Trümmerlandschaft aus Musik und Liebe noch übrig bleibt

Ab und zu redet jemand, aber miteinander zu sprechen, ist schon zu schwierig

Die Bühne sieht aus, als seien gerade Holzhacker dagewesen. Umgestürzte Baumstämme liegen rum, roh behauene Klötze und viel Kleinholz; dazwischen ein ausgestopftes Rehkitz. Im seitlichen Bühnenhintergrund ragt eine halb verfallene Hausmauer ins Bild. Es ist ein Bild der Verwüstung, das schon vor Beginn der Vorstellung deutlich macht, dass man hier bereits über jegliche Dekonstruktion hinaus ist. Die ist längst vorbei, übrig geblieben ist ein Haufen Trümmer.

Es sind die Trümmer von Maurice Maeterlincks symbolistischem Liebesmelodram „Pelléas und Mélisande“, die an diesem Premierenabend in der Volksbühne auf dem Prüfstand von David Martons Inszenierung stehen. Bei Maeterlinck war das Kleinholz noch Wald. Dort trifft der Prinz Golaud die schöne Mélisande, heiratet sie und führt sie heim in das düstere Schloss seines Vaters, des Königs Arkel. Mélisande aber versteht sich allzu gut mit Golauds Bruder Pelléas, und so bringt der eine Bruder den anderen irgendwann aus Eifersucht um.

Maeterlincks 1893 uraufgeführtes Stück ist heutzutage vornehmlich in seiner von Debussy bearbeiteten Opernfassung bekannt. Das ist insofern von Bedeutung, als Marton mit Maeterlincks Vorlage etwas veranstaltet, das zwar definitiv Musiktheater ist, doch gleichzeitig als radikales Gegenkonzept von Oper begriffen werden kann. Wo die Oper um eine umfassende Synthese aus Musik, Wort und szenischem Geschehen bemüht ist, isoliert Marton diese Bestandteile konsequent voneinander.

Definitiv ist die Musik hier wichtiger als das Wort – was nicht heißen muss, dass das besser wäre. Ein großer schwarzer Konzertflügel nimmt wuchtig die Bühnenmitte für sich in Anspruch. Einen beträchtlichen Teil des Abends wird Golaud, in Gestalt des Pianisten Jan Czajkowski, an diesem Flügel verbringen, blind und taub für alles außer der Musik (meist Beethoven, nie Debussy), und so in autistischer Selbstgenügsamkeit versunken sein, dass er Mélisande lange Zeit gar nicht bemerkt, als sie ih“Pelléas und Mélisande“m das erste Mal begegnet.

„Begegnet“ ist allerdings schon wieder falsch. Denn die Bühnenpersonen agieren nicht der Erzählung entsprechend; die Handlung liegt lediglich als inhaltliche Folie hinter dem tatsächlich Gezeigten. Tatsächlich gezeigt wird eine Mélisande (Lilith Stangenberg), die hereinrauscht, um sich in großer Sängerinnenpose an den Flügel zu lehnen. Aber sie bringt keinen Ton hervor, wiederholt den Auftritt noch einmal und pflaumt mit heiserer Görenstimme den eifrig Klavier spielenden Golaud an, er solle sie nicht anfassen.

Tatsächlich gezeigt wird ein Haus im Querschnitt, in dem König Arkel und die vier Generationen seiner Familie leben – die DarstellerInnen selbst fahren es nach Bedarf hin und her. Die Zuschauer beobachten so die wechselnden Personen bei verschiedenen sehr untheatralischen, privaten Verrichtungen: an- und ausziehen, Körperpflege und Wand starren. Echtes Drama findet hier nicht statt. Ab und zu redet jemand, aber miteinander zu sprechen scheint schon zu schwierig.

Allein Arkel (Hendrik Arnst), dem die Aufgabe zukommt, den Abend mit Maeterlinck-Zitaten über den Menschen, dessen Sterblichkeit und überhaupt philosophisch zu kommentieren, hat größere Textpassagen. Ständig wird Musik gemacht. Golaud spielt anhaltend Klavier, Pelléas (Thorbjörn Björnsson) singt laut und ungelenk, und die Geigerin Nurit Stark arbeitet sich ein ums andere Mal so beseelt wie virtuos an den Kadenzen aus Beethovens Violinkonzert ab, ohne jemals aufs erlösende Grundthema zu kommen.

Als Pelléas schließlich tot ist, wird Mélisande sich in (!) den Flügel legen und anheben, mit kleiner Stimme über Beethovens Klaviersonate in cis-Moll zu sprechen. Aber dieses Gerede über Musik wirkt natürlich noch hilfloser als die Musik selbst es die ganze Zeit schon war. Trost liegt darin jedenfalls nicht.

KATHARINA GRANZIN

■ Nächste Vorstellungen: Sa 17. 1., 19.30 Uhr; Do 22. 1., 19.30 Uhr