Das Ohr auf der Straße

Let’s do the Boogaloo, the Spanish Hustle! Mit einem Konzert von Joe Bataan, dem König des Latin Soul, ging am Samstag die El-Barrio-Veranstaltungsreihe im Haus der Kulturen der Welt zu Ende

VON TOBIAS RAPP

Ausgerechnet eine Polonaise! Man ist ja einiges gewohnt, wenn man sich auf das glatte Tanzparkett der kulturellen Übersetzungsschwierigkeiten begibt. Aber dass Joe Bataan, der Erfinder und König des Latin Soul, auf dem Höhepunkt seines Konzerts im Haus der Kulturen der Welt von der Bühne ins Publikum sprang und dann zusammen mit ein paar Dutzend Zuschauern eine Polonaise durch den Saal machte, das hatte – man kann es nicht anders sagen – bizarre Züge.

Nur auf den ersten Blick allerdings. Denn tatsächlich ist Joe Bataan ein Pionier der New Yorker Latinomusik, ein Künstler, der zwischen 1966 und 1980 bei jeder neuen Musik, den die hispanische Community hervorbrachte, stilprägend dabei war. Aber nicht nur. Mit „Rap-O-Clap-O“ hatte er 1979 den ersten Rap-Hit, der in den deutschen Charts landete – und war kurzzeitig so berühmt, dass ihn sogar die Grenzbeamten am Flughafen Tegel vollrappten, als er für einen Fernsehauftritt in Berlin war. Aus deutscher Perspektive war er also vor allem ein Novelty Act. Wer weiß, was man als One-Hit-Wonder mit deutscher Fernseherfahrung anderthalb Jahrzehnte später von seinem Publikum erwartet.

Der Auftritt von Bataan war der Abschluss der El-Barrio-Reihe, des Beginns des großen New-York-Programms im Haus der Kulturen der Welt, und besser hätten die Organisatoren es gar nicht treffen können. Denn ob verabredet oder nicht – Bataan selbst führte durch sein Konzert wie ein Geschichtslehrer in eigener Sache. Mit „Gypsy Woman“ ging es los, seinem ersten Riesenhit von 1967, einer Coverversion des Curtis-Mayfield-Stücks. Hier findet sich schon fast alles, was Bataans Erfolg ausmachen sollte: seine Fähigkeit, sich mühelos an die Spitze eines Dance-Craze zu setzen, in diesem Fall der Boogaloo, seine Idee einer Fusion von afroamerikanischer Musik mit Latino-Stilen und seine Geschäftstüchtigkeit („Die schwarzen Kids wollten Kool & The Gang, die Latino-Kids wollten Tito Puente. Ich dachte mir: wenn sie Joe Bataan nehmen, kriegen sie beides!“, erläuterte er später). Seine Version von Gil Scott-Herons „The Bottle“ war einer der ersten Discohits, mit seinem Album „Salsoul“ (beide von 1973) gab er einer der erfolgreichsten Discoplattenfirmen den Namen. Er war auch an ihrer Gründung beteiligt.

Nun ist das Interessante an der Kultur der Hispanics ja der merkwürdige Umstand, dass sie es wesentlich schwerer hatte, so eigenständig wahrgenommen zu werden wie die der Afroamerikaner. Dass die meisten Europäer bis heute glauben, Salsa, diese genuine New Yorker Musik, käme aus Südamerika, ist eine Spätfolge davon. Umgekehrt, so erfuhr man wenigstens am Samstagnachmittag, als Christoph Twickel, der die ganze El-Barrio-Reihe kuratiert hat, und drei Salsa-Fachleute aus New York unterhaltsam die Musikgeschichte der Nuyoricans rekonstruierten, taten sich die Musiker aus der hispanischen Community immer schwer, einfache Begriffe für ihre Musik zu akzeptieren – „Salsa ist Ketchup“, „Ich mache keine Latin Music, Latein ist eine Sprache, die nicht mal Italiener mehr sprechen“ waren die hübschesten Sätze, die fielen.

Ein Problem, was Bataan nie gehabt haben dürfte. Als ehemaliges Gangmitglied aus Spanish Harlem – er hatte fünf Jahre im Gefängnis gesessen, bevor er ins Musikgeschäft wechselte – hatte er sein Ohr immer auf der Straße. „Ordinary Guy“ und „Subway Joe“ heißen dann auch zwei seiner schönsten Stücke, er spielte sie am Samstag beide. Wobei dieses Ruf des Guy Next Door mehr als nur Image war. Nachdem ihm in den frühen Achtzigern der liebe Gott erschienen war, als er mit einer lebensgefährlichen Krankheit im Bett lag, kehrte er ins Gefängnis zurück: als Sozialarbeiter und Bewährungshelfer für kriminelle Jugendliche. Erst seit 10 Jahren tritt er wieder auf.

Und das mit der Routine desjenigen, der schon ganz anderes gesehen hat. Zwei Musiker seiner neunköpfigen Band sieht er an diesem Abend zum ersten Mal, sodass er bei der Vorstellungsrunde den Namen des Perkussionisten vergisst. Kein Problem, er macht ein Witzchen draus. Der Saal ist etwas groß, und ein geräumiger Partykeller wäre wohl angemessener gewesen? Egal. Am Schluss tanzt gut ein Drittel des Publikums mit Bataan auf und vor der Bühne.