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„Unser Haus ist ein Paradiesvogel“

HAUSBAU Christine und Peter Klemm gehören zu den Passivhauspionieren in Hamburg – seit 14 Jahren lebt das Ehepaar in einem Haus ohne Heizung. Bis heute frieren sie auch im Januar nicht

VON EVA THÖNE

Manchmal lässt sich Veränderung nur daran erkennen, dass etwas fehlt: Die weißen Wände im Wohnzimmer des Ehepaars Klemm sind blank. Zu blank. „Dass es in unserem Haus keine Heizungskörper gibt, fällt Gästen nur beim ersten Besuch auf“, sagt Peter Klemm, ein pensionierter Physik- und Chemielehrer. „Warm ist es ja schließlich trotzdem.“ Selbst jetzt im Januar frieren der 69-Jährige und seine Frau nicht in ihrem Haus im Osten Hamburgs, die Luft hat 21 Grad.

Zeitungspapier hält die Wärme im Haus

Das Ehepaar lebt in einem Passivhaus; einem Haus also, das seinen Bedarf an Wärme aus Sonneneinstrahlung und Abwärme deckt. Die Wärme kann kaum entweichen aus dem Haus der Klemms: Die Fenster sind dreifach verglast, in Kammern in den Wänden wurde zermahlenes Zeitungspapier gepustet, um das Haus so gut wie möglich zu dämmen.

Auf dem Dach finden sich statt Ziegeln glänzende Solarkollektoren für warmes Wasser und eine Photovoltaik-Anlage, die Strom aus Sonnenenergie erzeugt. Über einen sogenannten Erd-Saisonspeicher unter der Bodenplatte des Klemm’schen Hauses wird im Sommer überschüssige Solarwärme ins Erdreich eingelagert und im Winter zum Heizen genutzt. Unter dem Haus sorgen Wände aus winzigen Kunststoffkugeln und Mörtel dafür, dass die Wärme unterirdisch nicht entweicht.

Im Winter wird frische Luft, die im Wintergarten angesaugt wird, in Röhren im Boden erwärmt. In einem abstellkammergroßen Technikraum neben der Küche steht „das Gehirn des Hauses“, wie Peter Klemm sagt: Die Wärmepumpe, ein weißer Kasten, der aussieht und auch so ähnlich funktioniert wie ein Kühlschrank. Kleine Deckenöffnungen in Küche und Bad saugen Abluft ab. Die Wärme, die entzogen wurde, hebt die Wärmepumpe auf eine höhere Temperatur an. Ausgepustet wird sie in Schlaf- und Wohnräumen.

Seit 14 Jahren schon leben die Klemms in ihrem Passivhaus. „Wir haben das Haus als Pilotprojekt, nicht als Wirtschaftsprojekt gesehen“, sagt Peter Klemm. Heute fördert Hamburg öffentlichen Wohnungsbau; es ist en vogue, nachhaltig zu bauen. 1999 waren die Klemms Pioniere. „Es war ein Schritt ins Unbekannte. Wir waren auch darauf gerüstet, dass es schiefgehen kann“, sagt Peter Klemm. In seinem Haus verstecken sich zahlreiche Gimmicks; über eine Wasseranlage wird etwa die Klospülung mit Regenwasser versorgt. „Das sind schöne Öko-Accessoires“, sagt er. „Im Kern ging es uns aber darum, zur Energiewende beizutragen.“

Peter Klemm nennt sein Haus einen Paradiesvogel. Schon optisch sticht es hervor zwischen den weißen Doppelhaushälften in der August-Woelken-Siedlung im Hamburger Stadtteil Jenfeld: Mit Sonnenenergie als wichtigster Energiequelle ist das ganze Wohnen nach Süden ausgerichtet: Diese Seite des mehrstöckigen Hauses hat eine riesige Fensterfront, die Nordseite ist komplett fensterlos. Architektonische Avantgarde inmitten schnöder Nachkriegsarchitektur.

„Als wir bauten, wurde das Haus doch sehr kritisch beäugt“, sagt Christine Klemm. In der Siedlung galten strenge Vorschriften und die Klemms brauchten zahlreiche Sondergenehmigungen. „Hamburg war an diesen Stellen nicht offen“, sagt Peter Klemm. Es klingt bitter. Fördergelder für Passivhausbau gab es nicht. Er bot Parteien an, sein Haus zu besichtigen: „Bis auf die Grünen lag das Interesse bei null.“

Bis heute hat er das Gefühl, die Politik führe nur die Wirtschaftsinteressen großer Kapitalgeber aus. Auch deshalb beauftragten er und seine Frau 1999 gezielt eine kleine Firma aus Poppenbüttel mit dem Bau ihres Hauses. „Wir wollten gezielt ein Handwerk in Hamburg fördern, das es bis dato kaum gab.“

Steigende Ölpreise sind eine positive Nachricht

Vor ihrem Umzug lebte das Paar in einem Haus mit Ölheizung, verbrauchte 5.000 Liter Öl im Jahr. Wenn es stürmte, beulten sich die Vorhänge an den Fenstern aus, weil das Haus so schlecht gedämmt war. Heute, sagt Peter Klemm, freue er sich, wenn die Ölpreise steigen. Er lächelt dabei spitzbübisch. Für ihr 140 Quadratmeter großes Passivhaus bezahlten die Klemms vor 14 Jahren 500.000 Mark, dazu kam die Photovoltaik-Anlage. Bis auf eine Pumpe mussten sie bislang nichts austauschen. Und nur ganz selten müssen die Klemms zuheizen: Ein paar Mal im Winter schmeißen die Klemms ihren geschlossenen Kamin an.

Holzöfen sind im Passivhausbau in der Regel nicht möglich, denn sie strahlen zu viel Wärme an den Raum ab. Doch es gibt einen Trick: Im oberen Teil des Ofens sitzt eine Wassertasche. Wenn die durch das Holzfeuer eine bestimme Temperatur hat, springt eine Pumpe an und tauscht das warme gegen kühleres Wasser aus. Die Wärme wird unter dem Boden dem Speicher im Abstellraum zugeführt.

Im Garten peitschen Graupelschauer, im Wohnzimmer ist nur das Rauschen der Luft in den Ventilatoren der Wärmepumpe zu hören; es klingt wie das Brummen eines besonders leisen Kühlschranks. Als die Wände längst hochgezogen waren, kontrollierte die Baufirma mit einem sogenannten Blower-Door-Test, wo es noch zog und klebte auch die letzten Schlupflöcher für die Wärme ab. Das Haus ist absolut winddicht und Peter Klemm schätzt die Ruhe. Aber wer an ein Leben in einer solchen Dämmfestung nicht gewohnt ist, fühlt sich in dieser Stille, als sei die Welt ein stückweit ausgeschlossen.

Die Natur hält auf eine eigene Art Einzug in das Passivhaus des Ehepaars: Im zweiten Stock des Wintergartens an der Südseite des Hauses ist die Hängematte schon ganz zugewachsen, weil eine Maracuja-Pflanze aus dem Erdgeschoss heraufwuchert. Christine Klemms privater Urwald. An sonnigen Januartagen ist es so warm im Wintergarten, dass sie die Tür zwischen Wohnzimmer und Wintergarten aufreißen kann, und dann mitten zwischen Zitronen und Orangen, Dattelpalmen und Feigenbäumen steht. Vielleicht sprießen die Pflanzen auch deshalb so gut, weil das Luftklima im Haus der Klemms so bekömmlich ist: Nach einem Vormittag bei den Klemms fühlt man sich nicht ausgetrocknet, wie man es im Winter von voll aufgedrehten Heizungen kennt.

„Man wohnt wie in jedem anderen Haus auch“, sagt Christine Klemm. „Nur schöner.“ Am Anfang achtete sie noch penibel darauf, ja die Türen zu schließen, um eine Auskühlung zu verhindern. Aber als sie einmal nach dem Lüften vergaß, das Fenster zu schließen, geschah fast nichts: „Das Haus hatte so viel Wärme gespeichert, dass die Temperatur nur um zwei Grad fiel. Wir leben wie jeder andere“, sagt sie. Wobei: Neulich versuchten Einbrecher, bei den Klemms einzusteigen. Der Polizist, der vorbeikam, sagte: „Dieses Haus hat aber ein besonderes Ambiente.“

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