Ein Mann der Leidenschaft

An welchem Filmwettbewerb Ang Lee auch teilnimmt, er scheint daraus als Sieger hervorzugehen. Vergangenen Samstag hat der aus Taiwan stammende Regisseur nun bereits zum zweiten Mal, im Abstand von nur zwei Jahren, den Goldenen Löwen von Venedig im Empfang nehmen dürfen.

„Lust, Caution“, ein Spionagedrama um eine Frau im Schanghai der 40er-Jahre, könnte kaum weiter entfernt sein von „Brokeback Mountain“, seinem Liebesdrama um zwei schwule Cowboys. Doch ist es genau diese Anpassungsfähigkeit von Ang Lee, sein Talent, sich andere Zeiten und Problemstellungen einzuverleiben, die sein Werk so bedeutend macht.

Ob seine noch im Milieu taiwanesischer US-Einwanderer situierte Trilogie, die um Familienwerte, soziale Rollen und Kochen kreist, ob ein Historienfilm wie „Sinn und Sinnlichkeit“ (basierend auf Jane Austens Roman), ob die Erforschung der Beengtheiten einer US-Mittelschichtfamilie der 70er-Jahre in „Der Eissturm“: Mit ungemeiner Akribie dringt Lee ins Innere seiner Vorlagen ein und schält den Kern heraus. Lee scheint für jedes Genre, jede Epoche, ja jede Größe eines Filmprojekts gewappnet. Seine Fähigkeit, sich unterschiedlichen kulturellen Milieus – die für den 1954 in Taipeh gebürtigen Taiwaner nichts anderes als exotisch sein müssen – mit einer stilistischen und konzeptuellen Präzision anzunähern, ist geradezu unheimlich.

Vor allem, was die Auseinandersetzung mit Werten und ideellen Grundzügen seiner Wahlheimat USA betrifft, kann es gegenwärtig kaum ein anderer Mainstream-Regisseur mit den anthropologischen Qualitäten Lees aufnehmen. In „Caution, Lust“ beweist er mit der Adaption des Romans von Ailing Zhang, der durch eine bewegte Epoche Chinas führt, dass ihm das auch in anderen Ländern gelingt. Das liegt einerseits an der präzisen Recherche, die seiner Arbeit vorausgeht. Ausstattung, Dekor und Farben verwendet Lee nie im ornamentalen Sinn: In „Lust, Caution“ werden sie zu Mitteln, um die Lebenssituationen der Figuren zu betonen. Der Blick für das Besondere, das viel sagende Detail, ist Lees Spezialität.

Ang Lee kam im Alter von 24 Jahren nach Amerika, wo er zunächst Theaterwissenschaft, dann Film an der New York University studierte. Über sein Privatleben gibt es wenig zu sagen: Er sei mit seiner besten Freundin Jane verheiratet, erzählte er einmal in seiner zurückhaltenden, leisen Art – vielleicht suche er deshalb in seinen Filmen die großen Leidenschaften. Treue beweist Lee auch in seinen beruflichen Partnerschaften. Alle seine Filme entstanden in enger Zusammenarbeit mit dem Produzenten und Autor James Schamus.

DOMINIK KAMALZADEH