Mehr Mozart!

ERSTAUFFÜHRUNG Kammerphilharmonie und BR-Rundfunkchor mit Feins „Requiem für Mozart“

Das „Requiem“ übersteht seit 224 Jahren alle Konjunkturen der Mozart-Rezeption, nichts genießt konstantere Beliebtheit. Dass Mozart nur zwei Drittel des Werkes selbst geschrieben hat, erhöht nur dessen Popularität: Der Tod des Genies mitten im Schaffensprozess ist Ausgangspunkt einer unerschöpflichen medientauglichen Mystifizierung. Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen hat nun zusammen mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks unter Peter Dijkstra eine Fassung von Markus Fein erstaufgeführt, die für Mozart-Puristen Wonne und Wahnsinn zugleich darstellt: ein „Requiem für Mozart“.

Das Konzept dieser Herausforderung: Musiziert wird nur, was Mozart selbst geschrieben hat. Und – für manche müsste hier statt „und“ ein „aber“ stehen – diese Fragmente werden mit liturgisch oder zumindest thematisch passenden Werken anderer Komponisten ergänzt. Nun ist es keine grundsätzlich neue Idee, etwa das „Lacrimosa“ effektvoll nach acht Takten abbrechen zu lassen. An der Stelle eben, an der auch Mozart der populären Vorstellung zu Folge am 5. Dezember 1791 die Feder aus der Hand fiel. Bernhard Klee etwa hat schon vor 20 Jahren auf diese Weise der Atombombenopfer-Opfer gedacht und Luigi Nonos Oratorium „Canti di vita e d‘amore. Sul ponte di Hiroshima“ angefügt.

Bruchstellen sind immer auch Anknüpfungspunkte. Insofern wäre es eine künstlerische Bankrotterklärung, wenn die Torsohaftigkeit des Werks nicht seit jeher kreative Energien frei gesetzt hätte – womit weniger die üblichen Requiem-Arrondierungen von Franz-Xaver Süßmayr und anderen Mozart-Schülern gemeint sind als die Versuche, plagiatlos zu agieren.

Mozart hat lediglich die Eröffnungssätze komplett komponiert. Beschränkt man sich nun etwa beim „Confuntatis“ auf die von Mozart hinterlassenen Stimmen von Chor und tiefen Streichern, entsteht berückende kammermusikalische Transparenz.

Feins Fassung weist über punktuelle Kontextualisierungen hinaus, in dem sie, wie Fein formuliert, umfassend nach „musikalischen Antworten“, „Kommentaren“ und „Ausdeutungen“ sucht. Antworten kann allerdings nur geben, wer die Frage kennt, also das Mozart-Fragment. Insofern überrascht wenig, dass Feins barocker Rückgriff auf Purcells berühmte „Remember me“-Arie auf eine Art bruchhaft ist, die eher befremdet als befruchtend wirkt (aber immerhin Gelegenheit gibt, mehr von Christina Landshamers wunderbarem Sopran zu hören.) Hingegen gehört zu Feins besten Ideen, das „Lux aeterna“ des 2006 gestorbenen György Ligiti an die Stelle des in Mozarts Totenmesse fehlenden „Lux“-Teils zu setzen. Zumal der Chor diese 19-stimmige Komposition mit ihren flirrenden Clustern und Klangwolken in einer Qualität umsetzt, die ihresgleichen sucht.

Der musikarchäologische Ansatz, Mozarts Fragmente von allen Bearbeitungsschichten zu befreien und in klar abgegrenzte neue Kontexte zu integrieren, funktioniert am besten, wenn der Konzertdramaturg wie ein mutiger Bauherr agiert – der mitteltalterliche Ruinen mit zeitgenössischer Architektur kontrastiert, statt historistische Anschlüsse anzustreben. Fein ist mittelmutig – doch unterm Strich entsteht auch so schon Großartiges. HENNING BLEYL