Kontakte sind die stabilste Währung

Ein Botschafts-Newsletter macht Ernst und will jetzt Magazin für „Entscheider“ sein: „Capital Contacts“. Journalistische oder ökologische Standards spielen keine Rolle. Denn die Elite will feiern, unter sich sein und Geld machen. Alles ist gut

Die Zeitschriften sind so glatt, dass mir der ganze Stapel aus den Händen rutscht und in einer Pfütze landet. Mit spitzen Fingern fische ich sie wieder heraus. Glücklicherweise scheinen die glänzenden Seiten imprägniert zu sein, das Pfützenwasser lässt sich jedenfalls mühelos wieder abwischen. Capital Contacts erstrahlt in altem Glanz.

Die philippinische Botschafterin zwinkert mir auf dem Cover zu. Vielleicht hält sie ihre Nase aber einfach nur in die Berliner Sonne. Sie hat jedenfalls beide Augen genussvoll geschlossen. Von Sonne ist heute Morgen noch keine Spur. Fünf Uhr und regnerisch. Ich setze mich in einen Hauseingang, um alle Zeitschriften trocken wischen zu können und blättere dabei ein wenig im „exklusivsten Stadtmagazin und Premium-Medium der International Community Berlins“. 4,80 Euro finde ich entschieden zu teuer, aber ich stelle ja auch definitiv nicht die Zielgruppe dar. Das Format ist ein Zwischending aus DIN A4 und DIN A3. Die eigentliche Klientel kriegt die Broschüre selbstverständlich kostenlos ins Haus geschickt.

Auf den Seiten 6 bis 9 sieht man Fotos von wichtigen Berliner Persönlichkeiten. Darüber liest man: „Sind Sie gut vernetzt in der Weltstadt? – In Berlin sind Kontakte die stabilste Währung. Wenn Sie mehr als 50j% der hier abgebildeten Personen kennen, gehören Sie zu den oberen 10 % der internationalen Bevölkerung. Wenn Sie weniger als 20 % der Personen auf den Fotos erkennen, sollten Sie sich etwas mehr engagieren.“

Ich bin anscheinend nicht engagiert genug. Aber ich vermute, dass die Unkenntnis auf Gegenseitigkeit beruht. Viel Zeit habe ich nun nicht mehr. Die Zeitschrift muss in Botschaften, Galerien, Theater, Opernhäuser und Fünfsternehotels.

Wer das pfützenwasserbesudelte Heft in ein paar Stunden in den Händen halten wird, gehört zu den wichtigsten „Entscheidern“ aus Wirtschaft, Politik und Diplomatie, verspricht das Editorial. Das Magazin bietet den Eintritt in die wichtigsten Zirkel der Stadt, lautet die Verheißung – „inklusive der geschlossenen Gesellschaften in Botschaften“. Die philippinische Botschafterin sitzt auf einem interessanten Stuhl. Ich beuge mich tiefer über die Seiten und weiche entsetzt zurück. Das Magazin riecht schlecht. Sehr schlecht. Um nicht zu sagen: ungesund. Vollgepumpt mit Chemie. Auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem Papier ist es definitiv nicht gedruckt. Hoffentlich leiden die wichtigen Berliner Größen nicht nach der fünften Ausgabe an Atemwegserkrankungen.

Der Stuhl ist so hoch wie ein Barhocker, hat aber Armlehnen und heißt „Gossip-Chair“. Es handelt sich um einen traditionell philippinischen Stuhl, auf dem man offenbar Klatsch und Tratsch austauscht. Die letzten zwanzig Seiten des Magazins enthalten den „Capital Calendar“ in englischer Sprache – damit die ausländischen Botschafter auch verstehen können, wo sie ihre Freizeit verbringen sollen. Der Rest ist Werbung.

Der Gossip-Chair ist das Einzige, was mir an diesem Magazin gefällt. Ich werde das Foto meinem Tischler von nebenan zeigen, dem ich immer selbstgebackenen Kuchen rüberbringe. Er kann ihn mir dann zum Materialkostenpreis anfertigen. Man muss eben gut vernetzt sein.

SANDRA NIEMEYER