Kalter Krieg im Krankenhaus

Im Bethanien in Kreuzberg prallen die Lebenswelten von Hausbesetzern und Kulturschaffenden aufeinander. Dabei verstehen sich beide als irgendwie links. Die Künstler drohen nun damit, auszuziehen. Doch kann das Bethanien ohne sie überleben?

Das Bethanien wird 1845 bis 1847 errichtet und später zu einem Krankenhauskomplex mit vielen Nebengebäuden erweitert. 1970 wird es stillgelegt; eine Bürgerinitiative verhindert den Abriss. Das Bethanien wird vom Land gekauft. 1971 wird ein Teil des Hauses besetzt und in Georg-von-Rauch-Haus umbenannt. 1973 beschließt der Senat, im Hauptgebäude das Künstlerhaus Bethanien einzurichten. Im Juni 2005 besetzt eine Gruppe einstiger Bewohner und Unterstützer des kurz zuvor geräumten Hausprojekts Yorck 59 Teile des Südflügels.

VON NINA APIN

„Sehen Sie diese dilettantischen Graffiti?“ Valeria Schulte-Fischedick steht im Foyer des Kunsthauses Bethanien und deutet auf den mit schwarzen Kritzeleien übersäten Treppenaufgang. „Das ist keine Kunst, sondern Vandalismus“, empört sie sich. „Das ist von denen!“

Die Kunsthistorikerin und Mitarbeiterin des Künstlerhauses ist keine Graffiti-Gegnerin, im Gegenteil. Die bunten Street-Art-Motive an den Wänden im hinteren Quergang findet sie „richtig kreativ“, hier stören sie auch die mit Edding hingekritzelten Tags auf den Fensterscheiben nicht. Denn der hintere Quergang führt zu den Räumen des Kunstraums Kreuzberg, in dem jährlich eine große Street-Art-Ausstellung stattfindet. Das Treppenhaus dagegen ist offen für alle: für die Musikschüler, für Nachbarn, für Schulklassen.

Und für „die“. Von denen fühlt sich die Frau mit dem süffisanten Lächeln so gestört, dass sie sagt: „Plötzlich sympathisiere ich mit der CDU. Dabei bin ich doch links.“ Im Juni 2005 besetzten ehemalige Bewohner des geräumten Hausprojekts in der Yorckstraße 59a den Südflügel des ehemaligen Bethanienkrankenhauses am Mariannenplatz. Sie nutzen seitdem 2.000 Quadratmeter des denkmalgeschützten, bezirkseigenen Komplexes zum Wohnen und für linke Projekte. Miete zahlen sie nicht. Aber die grüne Mehrheit im Bezirk duldet sie.

Seit der Ankunft der Besetzer herrscht Krieg im Haus. Zwischen Mietern und Besetzern. Zwischen einem Künstlerhaus, das seit 32 Jahren professionelle Kunstproduktion betreibt, und einem „Raum für emanzipatorische Projekte“. Zwischen Linken und Linken. Der Frontverlauf ist kompliziert. Besonders seitdem ein Bürgerbegehren 2006 die geplante Privatisierung des defizitären Hauses abwendete und eine Umwidmung zum „Haus für Kunst, Kultur, soziokulturelle Angebote und kulturnahe Dienstleistungen“ beschloss. Hinter der „Initiative Zukunft Bethanien“ (IZB), die das Bürgerbegehren anregte, stecken Kiezinitiativen, viele davon aus dem Besetzer-Umfeld. Damit sind die Besetzer ganz offiziell an der Umgestaltung beteiligt.

„Geistige Armut“

Das passt einigen nicht. Etwa zahlreichen Bezirksabgeordneten von CDU, SPD und Linken, die eine Räumung befürworteten oder fürchten, dass ein „kiezoffenes“ Haus in Selbstverwaltung dem klammen Bezirk auf der Tasche liegen wird. Auch die eingessenen Mieter sind sauer.

Bei ihnen verursachen bereits die Vorboten der künftigen „soziokulturellen Orientierung“ heftige Abwehrreaktionen. Seit Juni gibt es im Eingangsbereich das „SOfa“, das „Selbstverwaltete interkulturelle AnwohnerInnenforum“, wo zwischen alten Sofas ein politisches Frauen-Café, Trommelworkshops und ein Büchertisch angeboten werden. Dieser Büchertisch symbolisiert für Mathias Mrowka, Leiter der Druckwerkstatt im ersten Stock, „die geistige Armut unserer Republik“. An den Besetzern und der Initiative Zukunft Bethanien lässt er kein gutes Haar. „Alles, was ich am Linkssein nicht mag, konzentriert sich da“, schimpft er und spricht von Desorganisation, ideologischem Fanatismus und Weltverbesserungswahn. Die angebliche Kiezorientierung der IZB, so argwöhnt er, sei nur die Fassade eines „egoistischen kleinen Hausprojekts“, das sich Stück für Stück das ganze Bethanien unter den Nagel reißen wolle. „Soziokulturell, kiezorientiert – das ist alles doch nur Geschwurbel“, sagt auch Ina Finger, Leiterin der Musikschule im Haupthaus, und prophezeit: „Das Haus wird sich zwischen kleinteiligen Interessen aufreiben und im Chaos versinken.“

Die bezirkseigene Musikschule muss der Dinge harren. Doch Christoph Tannert, Leiter des Künstlerhauses, und Mrowka suchen schon nach neuen Immobilien. Beide nehmen nicht mehr teil am runden Tisch, an dem nach dem Bürgerbegehren über die Zukunft des Bethaniens verhandelt wird. Beide fühlen sich von der Politik verraten. „Wir haben jahrelang alles getan, um kostendeckend zu arbeiten und den Bezirk zu entlasten“, klagt Tannert. „Und jetzt zahlt der den Besetzern die Miete. Einfach so.“

Der grüne Bezirksbürgermeister Franz Schulz steht selbst zwischen den Fronten. Er würde den Besetzern gerne einen Mietvertrag geben – doch dafür gab es keine Mehrheit im Bezirksparlament. Räumen will er nicht – schließlich sympathisiert ein Teil seiner Wähler mit der Besetzerbewegung. Er möchte aber auch das Künstlerhaus und die Druckwerkstatt halten – unter den Freunden intellektuell anspruchsvoller Kunst befindet sich schließlich die andere Hälfte seiner Wählerklientel.

Armer Bürgermeister

Es erschwert die Lage des Bürgermeisters, dass ab 2008 kalkulatorische Mehrkosten in Höhe von 800.000 Euro die Immobilie belasten werden. Der Bezirk ist arm, die Kosten drücken. Das künftige selbstverwaltete Modell wird also kostendeckend arbeiten müssen. „Das ist ein gewisses Problem“, räumt er ein. Bis Ende des Jahres muss Schulz eine Lösung gefunden haben: Abgabe der Immobilie an das Land. Oder Genossenschaft. Oder gemeinnütziger Träger.

Doch da will Tannert nicht mitmachen. Die Selbstverwaltung werde ihn zum Mieter der Besetzer machen, sagt er. Das käme niemals in Frage. „Urschrei-Therapie im Casino, Mütter-Kind-Gruppe im Nebenhaus – das ist kein Umfeld, in dem ich mich wiederfinde“, sagt er. Tannert spricht von Imageschäden, die seinem renommierten Haus durch die Besetzer bereits entstanden seien, von abgesprungenen Sponsoren und Einbrüchen. Sogar von herumliegenden Spritzen, Hundekot und Müll.

Im besetzten Südflügel, der sich jetzt „New Yorck“ nennt, ist man von dieser Kriegsrhetorik entsetzt. „Ich habe selbst eine Tochter. Glauben Sie, ich würde in ihrer Umgebung Spritzen dulden?“, fragt Jonas Schildmann entgeistert. Er und sein Mitstreiter Markus Müller sitzen auf Bierbänken vor dem Haus. Hinter ihren Köpfen wehen Transparente mit der Aufschrift „Mediaspree versenken“ und „Rassismus bekämpfen!“

Drinnen wollen sie keinen Besuch empfangen, aus Vorsicht. Wie viele Leute im Haus leben, sollte nicht bekannt werden. Und auch von „Wohnen“ möchte Müller lieber nicht sprechen. „Sagen wir so: Wir leben und arbeiten hier mit politischem Anspruch.“

Müller und Schildmann sind sich bewusst, dass sie nicht nur Freunde haben. Von einem vergifteten Klima im Haus könne aber keine Rede sein, betonen sie. Mit der benachbarten Kita und der Sportjugend verstehe man sich gut, auch zum Kunstraum gebe es erste Annäherungen. Die Anfeindungen von Tannert und Mrowka verstehen sie nicht. „Wir wollen mit allen im Haus gut auskommen“, beteuern sie. Sie wollten lediglich bisher leere Räume nutzen, etwa als Videowerkstatt, Heilpraktikerschule und Theaterbühne.

Die Ausstellungen von Tannert wolle man nicht verdrängen. Der aber halte sich nicht an demokratische Prozesse und weigere sich, seine Vorstellungen konstruktiv am runden Tisch einzubringen. Gleichzeitig wünschen sich das IZB einen Ort für das Theaterbündnis Blumenstrauß. Im Südflügel, sagen dessen Aktivistinnen, gebe es dafür leider keinen Raum. Die ehemalige Kapelle im ersten Stock sei hingegen ideal. Oder das Studio zwei. Doch im einen wird gerade die Eröffnung der „Fluxus East“-Ausstellung vorbereitet, im anderen die Vernissage zweier kanadischer Künstler. Das Ringen um die Räume hat begonnen.