Krautrock, Kommunen, LSD

Dieter Moebius und Hans-Joachim Roedelius schrieben als Cluster Musikgeschichte. Wieder vereint wollen sie nun beweisen, dass sie immer schon Elektropunks gewesen sind. Die Krautrocklegenden eröffnen am Freitag das Interface Festival

„Du erkennst mich, ich bin klein und trage Schwarz“, sagt Dieter Moebius, als wir unser Treffen im Schöneberger Café „M“ vereinbaren. Moebius will nicht auffallen, er wirkt schüchtern und unprätentiös. „Man könnte mich eigenbrötlerisch nennen, ich fühle mich aber nicht so“, sagt er selbst. Dabei würde er in Berlin sowieso nicht Gefahr laufen, auf der Straße als Krautrocklegende erkannt zu werden, als „Begründer des Space Age“, wie er als Teil von Cluster durch das „Interface“-Festival im Ballhaus Naunyn angekündigt wird. Krautrock, auch „Kosmische Musik“ genannt, war zwar ein typisch deutsches Ding in den Siebzigern, doch bis heute gibt es echten Krautrockfanatismus eher im angloamerikanischen Raum und in Japan. Dort werden die Freakouts von langhaarigen Pilzessern, die sich in Landkommunen tummelten, als Prä-Punk kultisch verehrt.

In Japan, so erklärt Moebius, darob auch leicht beunruhigt, hat er durchaus Popstarstatus. So ist auch zu erklären, dass ein japanisches Label namens „Captain Trip“ sich in den letzten Jahren liebevoll um sein Werk gekümmert hat. Für ihn war mit dem vorläufigen Ende von Cluster und seinem anderen legendären Projekt Harmonia ja nicht alles vorbei, er produzierte fleißig weiter Platten. Angekrautetes mit Weltmusikeinschlag etwa, zusammen mit dem ehemaligen Cluster-Produzenten Conny Plank unter dem Namen Moebius & Plank, und jede Menge Soloplatten. Die neueste, „Nurton“, ist eben erschienen. Schlägt man in Julian Copes Standardwerk, dem „Krautrocksampler“, nach, wird einem erst bewusst, welche Giganten der, sagen wir: Popmusik, Dieter Moebius und sein Cluster-Partner Hans-Joachim Roedelius sind. Drei Platten von Cluster hat Cope in seine Liste der ewigen Krautrockplatten aufgenommen, zwei von Harmonia, dem Trio der beiden Cluster-Köpfe zusammen mit Michael Rother, der später Neu! gründen sollte.

Auch Cluster waren zu Beginn, vor über 35 Jahren, noch ein Trio. Sie nannten sich Kluster mit großem K, und das dritte Mitglied war Conrad Schnitzler, der bis heute einen Ruf als eigenwilliger teutonischer Experimentator zwischen Neuer Musik und Krachexperimenten genießt. „Conrad hat, auf gut Deutsch gesagt, schon damals die Sau rausgelassen“, sagt Moebius über Schnitzler. Die ersten beiden Cluster-Platten in Triobesetzung klingen dann auch selbst für Cluster-Verhältnisse schier unhörbar, nicht kosmisch oder krautig, sondern verspult und irgendwie nicht kategorisierbar. Dabei waren auch die späteren Cluster mit großem C nur was für die harten Krautrockfans. Deren Musik war noch weit weg von dem Trancehaften von etwa Neu! oder dem Magischen von Can, Clustersound war eher bizarre Psychedelik, teilweise mit fernöstlichen Klängen angereichert und stark verdrogt. Julian Cope ist sich gar sicher, dass die frühen Cluster ein entscheidender Einfluss für Alan Vega und Martin Rev von Suicide gewesen sein müssen und damit mitverantwortlich für Punk.

Fragt man Dieter Moebius, ob es damals wirklich so gewesen ist, wie man sich das vorstellt, wenn man diese kuriose Musik aus den Siebzigern hört, nimmt er einem glücklicherweise nichts vom Glauben an all die Mythen. Pilze und LSD? „Kann man so sagen. War halt so. Aber der Michael Rother hatte nie was genommen.“ Landkommune? „Wir lebten und arbeiteten in Holzminden im Weserbergland.“ Holzminden im Weserbergland, das sagt eigentlich schon alles. Neben seinen Wohnsitzen auf Mallorca und in Berlin lebt Moebius übrigens noch immer dort. Waldschrat-Look und ungepflegte Bärte? „Na ja, wir waren zwar keine Hippies, aber wir sahen aus wie welche.“

Moebius ist inzwischen 63 Jahre alt, sein Cluster-Partner Hans-Joachim Roedelius gar 73. Doch so wie im Krautrock Zeit immer eine dehnbare Kategorie war und Stücke möglichst niemals enden sollten, so geht es eben jetzt auch für diese Granden der „Kosmischen Musik“ einfach immer weiter. Jahrelang waren die beiden zerstritten, aus persönlichen Gründen, wie Moebius sagt. Erst dieses Jahr haben sie sich wieder vertragen und die Wiederauferstehung von Cluster beschlossen. Sofort wurden die beiden Herren für alle möglichen Festivals gebucht, und Moebius ist vor allem darüber erstaunt, dass so viele junge Menschen sie sehen wollen. „Wie das alles so läuft, ist schon eine Überraschung für mich“, sagt er. Demnächst tritt er zusammen mit Stefan Schneider von Kreidler auf. Dieser hatte ihn kontaktiert, ihm Sachen von Kreidler zugeschickt, die Moebius gefielen. Er ist offen für das Neue, nur zurückblicken, das liegt ihm nicht. Auch Cluster werden deswegen nur jüngere Soundarbeiten vorstellen, verspricht er. Viel improvisieren werden die beiden auf der Bühne und niemals tapetenmäßigen Ambient verbrechen, wie viele andere, die sich in den Siebzigern einen Namen machten. „Ich bin Elektropunker“ sagt Dieter Moebius und lächelt dabei kein Stück. ANDREAS HARTMANN

Das Interface Festival widmet sich „40 Years of Speed and Space“ und beginnt mit einem Cluster-Konzert am Freitag, 21 Uhr, im Ballhaus Naunyn www.ballhausnaunyn.de