Kampf der Dämonen

TENNIS Vor dem Auftaktmatch der Australian Open will sich die Deutsche Andrea Petkovic von ihren peinigenden Gedanken befreien

„Ich reflektiere immer alles, schon während des Trainings. Wenn es nicht läuft, reflektierst du dich zu Tode“

ANDREA PETKOVIC

AUS MELBOURNE DORIS HENKEL

Manche Dinge sieht man gleich. Vor ein paar Tagen hatte sie nach dem Training ebenso frustriert wie eilig das Weite gesucht, eine graue Wolke über dem Kopf, in der in Großbuchstaben stand: NICHT ANSPRECHEN, WEHE! Diesmal packte sie in Ruhe die Sachen, legte sich ein Handtuch um die Schultern und gab bereitwillig Auskunft.

Eine Stunde später redete Andrea Petkovic weiter und erzählte vom Unterschied zwischen den ersten Trainingstagen in Melbourne und den folgenden. Und von der Unruhe, die sie vor ihrem ersten Spiel bei den Australian Open 2015 befallen hatte. Es sind nicht nur die großen Dämonen, die Deutschlands Nummer zwei immer wieder vor der Nase rumtanzen, seit sie sich vor sieben Jahren in ihrem ersten Spiel bei diesem Turnier einen Kreuzbandriss zugezogen hatte. Um den Ort des Geschehens, die zweitgrößte Arena der Anlage, macht sie nach wie vor am liebsten einen Bogen. Dabei hat sie längst begriffen, dass sie die Dämonen nicht bekämpfen darf, sondern ihre Existenz akzeptieren muss. Wie bei den anderen Turnieren in Australien, die mit schmerzhaften Erinnerungen verbunden sind. Sydney mit dem Bruch im Iliosakralgelenk vor drei Jahren und Perth mit dem Meniskusriss beim Hopman Cup vor zwei Jahren.

Kleine Teufel

Aber es gibt ja auch kleine Teufel, die zu einer großen Plage werden können, wenn man auf alles reagiert und jeden Gedanken doppelt von vorn und hinten betrachtet. Bei den Turnieren zuvor in Brisbane und Sydney hatte Petkovic jeweils in der ersten Runde verloren, hatte den Unmut darüber und die Zweifel mit nach Melbourne gebracht, und diese Nummer setzte sich im Training nahtlos fort. „Jedes Training, was nicht so lief, war dann gleich katastrophal“, sagt sie, „ich hab an nichts mehr geglaubt und gedacht, ich spiel’ einfach schlecht. Ich stand mir selbst im Weg, und ich wusste es auch, aber ich kam da nicht raus.“

Dann gab es ein Training, das anstatt der üblichen Stunde 30 Minuten etwas länger dauerte, und mit jeder Minute mehr fühlte sie sich plötzlich ein wenig besser. Am Ende konnte sie kaum mehr begreifen, dass sie nicht früher erkannt hatte, dass sich manche Dinge eben nicht erzwingen lassen. Genau darüber sprach sie danach mit ihrem Vater Zoran, der seit Ende vergangenen Jahres als Coach und Betreuer aushilft und der im Gegensatz zu ihr ein ausgesprochen ruhiger Mensch ist.

Kann es denn wirklich sein, dass in diesem schlauen Kopf der Andrea P. immer wieder Zweifel übereinander herfallen? Ja, aber sie findet, es sei besser geworden. „Früher war es so, dass ich alles angezweifelt hab. Bin ich fürs Tennis gut genug, schaff ich’s wieder zurück? Jetzt ist es punktuelles Zweifeln, wenn halt wichtige Ereignisse anstehen, Fed Cup oder Grand Slams, und wenn ich mich ein bisschen unsicher fühle. Ich reflektiere halt immer alles, schon während des Trainings. Wenn es dann nicht läuft, reflektierst du dich zu Tode. Dadurch kommt es zu diesen extremen emotionalen Reaktionen.“

Auf die Dauer soll es nicht ihr Vater sein, auf dessen beruhigende Wirkung sie sich verlassen will. Ende vergangenen Jahres hatte sie sich vom niederländischen Coach Eric van Harpen getrennt. Zu Beginn hatte sie von ihm eine Menge gelernt, aber in einer Phase fehlender Erfolge im Oktober konnte er sie nicht mehr erreichen. Dennoch sagt Petkovic, die Verbindung zu van Harpen sei nicht ganz gekappt, sie stünden weiter in losem Kontakt, und sie wolle sich diese Sache nicht verbauen.

Komplizierte Trainersuche

Aber auch die Suche nach einem offiziellen Nachfolger läuft. Zoran Petkovic nutzte die Zeit in Melbourne auch, um Gespräche mit Kandidaten zu führen, die als Coach zu seiner nicht unkomplizierten Tochter passen könnten. Die weiß selbst, dass die Suche nicht einfach werden wird. Sie sagt: „Wenn ich eine Autorität respektiere, dann erwarte ich auch, dass er oder sie mich inspiriert. Ich hab mich verändert in den Jahren, und dazu brauch ich auch einen passenden Trainer.“

Aber zunächst mal geht es um andere Dinge. Um einen Sieg in der ersten Runde am Dienstag, dem ersten in Melbourne seit vier Jahren (2012 und 2013 hatte sie verletzt gefehlt). Im Gegensatz zur ihr hat Gegnerin Madison Brengle aus den USA zuletzt gut gespielt. Dieses Wissen macht die Sache nicht leichter, andererseits weiß Andrea Petkovic gut genug, dass ihre Chancen beträchtlich steigen, wenn sie nicht jeden Fehler für das erste Zeichen des Weltuntergangs hält.