DVDESK
: Der helle Wahn

Rainer Werner Fassbinder: „Despair – Eine Reise ins Licht“. Mit Dirk Bogarde, Andréa Ferréol u. a., Deutschland 1977/1978, ab 15 Euro im Handel

Gewidmet ist der Film den großen Verrückten Antonin Artaud, Vincent van Gogh und Unica Zürn. Es spielen unter anderem Dirk Bogarde, Andréa Ferréol und Volker Spengler in Hauptrollen mit. Die Vorlage ist von Nabokov (sein Roman „Verzweiflung“ aus den frühen dreißiger Jahren), das Drehbuch von Tom Stoppard, Regie führt Rainer Werner Fassbinder. Das Set, von Rolf Zehetbauer entworfen, war noch von Ingmar Bergmans „Das Schlangenei“ übrig, Kameramann Michael Ballhaus tobt sich darin nach Herzenslust aus. Heraus kam Fassbinders bis dato teuerster, seiner erster (und letzter) englischsprachiger Film. Erfolg war ihm weder in Cannes, wo er im Wettbewerb lief, noch an den Kassen beschieden. Er gilt bis heute als einigermaßen missraten, wovon auch die sehr späte DVD-Premiere noch zeugt.

Ein äußerst seltsames Werk ist „Despair“ ohne Zweifel. Der Protagonist ist ein aus Russland stämmiger Schokoladenfabrikant im Berlin der späten Weimarer Republik – Bogarde spricht ihn mit sehr eigenartigem, aber sicher nicht russischem Akzent. Seine Frau, die der Film als Mahnmal der Dummheit und Sinnlichkeit hinstellt, hat ein offen ausgetragenes Verhältnis mit ihrem Cousin, dem Maler Ardalion. Den Vornamen Hermann trug der Held schon bei Nabokov, die Verdopplung zu Hermann Hermann hat sich Drehbuchautor Tom Stoppard mit sehr gutem Grund aus Nabokovs „Lolita“ mit ihrem Humbert Humbert geborgt.

Um eine Persönlichkeitsdopplung nämlich geht es im Kern der Geschichte. In der Weltwirtschaftskrise geraten auch die Geschäfte des Schokoladenfabrikanten heftig ins Wanken. Hermann Hermann plant eine Fusion, die allerdings scheitert; jedoch begegnet er auf seiner Reise in die Provinz einem Mann, von dem er aus keinem ersichtlichen Grund glaubt, er gleiche ihm wie ein Hermann dem Hermann. Darauf baut er einen Plan für einen Lebensversicherungsbetrug auf. Sieht man Dirk Bogarde neben Klaus Löwitsch, ist diese Verkennung so offenkundig, wie eine Verkennung nur sein kann. Die Mordtat, die Hermann mit seinem vermeintlichen Doppelgänger ausheckt, kann aufgrund der falschen Voraussetzungen nur aufs Katastrophalste misslingen.

In Wahrheit ist alles ein einziges Schizo-Syndrom. Die Identifizierung von Hermann mit dem Mann namens Felix ist nichts anderes als der helle Wahn. Als solcher aber keine Privatsache. Der Wahn nämlich ist, so privat er hier auftritt, gezielt in die politische Geschichte der frühen dreißiger Jahre hineinerzählt. Hakenkreuze und Braunhemden tauchen auf an allen Ecken und Enden. Der Wahn ist Symptom einer politischen Lage, durch deren labyrinthische Räume die Kamera von Michael Ballhaus zur einsatzfreudigen Peer-Raben-Musik manövriert.

So geht in diesem Film, der verschiedene Handschriften trägt, mancherlei durcheinander. Die Künstlichkeit der Fassbinder-Ballhaus’schen Bewegungschoreografien kommt mit dem Nabokov’schen Antirealismus des bösartig überlegenen Waltens über Handlung und Personal so wenig wie mit der Künstlichkeit des pointierten Stoppard’schen absurden Theaters jemals zur Deckung. Das Englische aus großteils keineswegs muttersprachlichen Mündern ergibt einen weiteren Verfremdungseffekt. Das Resultat ist ein Film, der als sein eigenes Schizo-Syndrom fasziniert. Ein Film, der vom Symptom, das er ausstellt, auf seltsame Weise selbst befallen scheint. Ein verrückt gewordener Film, als solcher ein Faszinosum und nicht nur der Sprache wegen ein Unikum in Fassbinders Werk.

EKKEHARD KNÖRER