Der mit dem dicken Fell tritt ab

Japans Premierminister Shinzo Abe tritt zurück. Sein Abgang deutet darauf hin, dass die Fraktion der Regierungspartei LDP die Zügel wieder fester in die Hand nimmt und die Premiers wieder so schnell wechseln wie früher. Die Opposition hofft darauf

VON GEORG BLUME

Wie weggetreten wirkte Shinzo Abe bei seiner letzten Fernsehansprache als Regierungschef. Er stockte dreimal, bevor einen Satz zu Ende bringen konnte. Und begründete seinen Rücktritt abenteuerlich: „Vielleicht wird ein neuer Premierminister bei der bevorstehenden Generalversammlung der Vereinten Nation für Wandel sorgen“, sagte Abe. Von welchem möglichen Wandel er sprach, blieb sein Geheimnis. Und so wirkte es fast schon glaubwürdig, als der Tokioter Regierungssprecher Kaoru Yosano anschließend gesundheitliche Gründe für die völlig unerwartete Amtsniederlegung seines Chefs ins Spiel brachte.

Abe schien keiner zu sein, der leicht aufgibt. Erst im Juli hatte seine liberaldemokratische Regierungspartei (LDP) bei den Wahlen zum Oberhaus, Japans zweiter Parlamentskammer, eine eindeutige Niederlage erlitten. Doch Abe machte weiter, obwohl in der Vergangenheit jeder japanische Regierungschef, der eine Oberhauswahl verloren hatte, alsbald zurückgetreten war.

Abe, so dachte man damals, sei ein harter Brocken: Sprössling einer der einflussreichsten japanischer Politikerfamilien, Enkel eines verurteilten Kriegsverbrechers, dem es nach dem Krieg trotzdem gelang, Premierminister zu werden. Abe hatte auch ein klares Programm, was bei japanischen Politikern selten vorkommt: Er wollte Japans pazifistische Verfassung revidieren und an den Schulen wieder für patriotische, kaisertreue Erziehung sorgen. Er sorgte weltweit für Aufregung, als er im Frühjahr die Existenz von Zwangsprostituierten im Dienst der japanischen Kaiserarmee während des Zweiten Weltkriegs leugnete.

Doch Abe blieb bei seinen Auffassungen. Er schien das nötige dicke Fell zu haben.

Dass nun alles anders kam und er ging, nachdem er noch zwei Tage zuvor eine lange Regierungserklärung gehalten hatte, deutet auf die Rückkehr liberaldemokratischer Fraktionsmacht. Sein Vorgänger Junichiro Koizumi hatte Japan von 2001 bis 2006 sehr erfolgreich ohne die eigene Partei regiert. Koizumi hatte sich allen vorher gültigen Gesetzen der Fraktionsältesten im Parlament entzogen, ein Expertenkabinett ernannt und eine Reihe wichtiger Wirtschaftsreformen durchgesetzt. Abe wollte es ihm gleichmachen und seine Reformen im außen- und bildungspolitischen Bereich durchbringen. Doch ihm stellte die Partei Beine. Er verlor in seiner kurzen Regierungszeit von einem Jahr fünf Minister, einen davon durch Selbstmord. Zuletzt musste er die Altvorderen der Partei sogar in sein skandalumwehtes Kabinett aufnehmen.

Zur offiziellen Begründung seines Rücktritts nannte Abe auch den gefährdeten Afghanistan-Einsatz Japans. Nur noch bis zum 1. November läuft das Gesetz, das den Einsatz garantiert. Doch die Opposition will vorerst eine Verlängerung des Mandats mit ihrer Mehrheit im Oberhaus verhindern. Und tatsächlich könnte eine Oppositionsblockade im Oberhaus auch dem Nachfolger Abes das Leben schwer machen. Vermutlich wird die LDP bereits nächste Woche den neuen Generalsekretär und ehemaligen Außenminister Taro Aso an ihre Spitze und damit zum Premier wählen. Wie Abe gilt Aso als Nationalist, doch hat er noch weniger Fraktionsmacht hinter sich als Abe. Vielleicht brechen nun die Zeiten wieder an, in denen die LDP ihre Chefs ständig wechselt.

Genau darin liegt die Hoffnung der Opposition. Sie wird auf möglichst schnelle Neuwahlen drängen, um die Führungsschwäche der LDP auszunutzen. Doch die Legislaturperiode währt noch zwei Jahre. So lange wird Japan wohl ohne neue Gesetze auskommen müssen. Dass die LDP ihre Macht in Neuwahlen aufs Spiel setzt, ist nicht zu erwarten.

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