Volle Freiheit für Präsident Putin

Offensichtlich auf Druck aus dem Kreml tritt Russlands Premierminister Michael Fradkow zurück. Bei der Nachfolge bleibt Präsident Putin seinem Prinzip treu, möglichst farblose, loyale Leute aus seinem Petersburger Umfeld nach oben zu hieven

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Nach einem Zwist oder Überraschungscoup sah es nicht aus, als Präsident Wladimir Putin das Rücktrittsgesuch seines Premiers Michail Fradkow und der Regierung im Kreml entgegennahm. Beide Politiker machten einen überaus zufriedenen und friedlichen Eindruck. Auf Dissonanzen wie bei der Entlassung des vorigen Premiers Michail Kasjanow deutete nichts hin.

Michail Fradkow, der seit Februar 2004 die Regierungsgeschäfte führte, nannte als Rücktrittsgrund die in nächster Zeit bevorstehenden „wichtigen politischen Ereignisse“ in Moskau. Im Dezember wählt Russland eine neue Duma und im März stehen Präsidentschaftswahlen an. Die Regierung wolle Putin bei seinen Entscheidungen daher volle Freiheiten einräumen, „Personalfragen eingeschlossen“.

Rücktrittsgerüchte hatten aber vorher schon die Runde gemacht. Kein Zweifel, dass die Initiative nicht in der Regierung reifte, sondern vom Kreml angeordnet wurde. Regierung und Premierminister erfüllen lediglich technische Aufgaben – entschieden wird im Kreml.

Präsident Putin ernannte Wiktor Subkow als seinen Kandidaten für die Nachfolge. Bereits am Freitag soll die Duma über die Kandidatur entscheiden. Dass die kremltreue Mehrheit im Parlament den Präsidenten nicht enttäuschen wird, scheint so gut wie sicher. Subkow war der Leiter der Föderalen Finanzaufsichtsbehörde. Bislang trat der 65-jährige Ökonom in der Innenpolitik nicht hervor. Auf Verwaltungserfahrungen kann der ehemalige Direktor einer Sowchose, eines sowjetischen Landwirtschaftsbetriebes, und Kreischef der Kommunistischen Partei indes seit über dreißig Jahren verweisen. Warum Wladimir Putin Subkow als Premierminister auswählte, konnten Beobachter gestern nicht sofort einordnen. Putin kennt Subkow seit Ende der 80er-Jahre, als dieser Vizechef des Verwaltungsgebietes Leningrad war. Bei der Personalauswahl greift der Kremlchef gewöhnlich auf Leute aus seinem Petersburger Freundes- und Bekanntenkreis zurück. Diesem Prinzip blieb er auch diesmal treu. Dass die Wahl auf einen Unbekannten fiel, gehört ebenfalls zu den Prinzipien der Putin’schen Personalpolitik. Vorgänger Michail Fradkow stellte auch nur eine Randfigur dar.

Die Präsidentschaftswahlen sorgen seit längerem im Kreml für Unsicherheiten. Zwar ist klar, dass die Wähler dem von Putin vorgeschlagenen Kandidaten auch ihre Stimme geben werden. Weniger klar ist indes, wie der Nachfolger die Clanverhältnisse und Strukturen im Kreml neu mischen wird. Die Bürokratie fürchtet, dass eine neue Kremlmannschaft auch eine Neuverteilung des Eigentums vornimmt. Eine farblose Figur wie Subkow beruhigt die Clans im Vorfeld zunächst. Subkow ist weder mit korporativen Interessen verknüpft, noch wird er in so kurzer Zeit eine Hausmacht aufbauen können. Überdies passt die Nominierung zu Putins Weltsicht: der Erwählte hat seine Sporen als Apparatschik in der Kommunistischen Partei verdient. Das garantiert einen gewissen Grad an Loyalität.

Die Nominierung Subkows hat in Moskauer Politzirkeln für Irritationen gesorgt. Dort war man von einer Inthronisierung Sergej Iwanows ausgegangen. Der Vizepremier gilt als einer der aussichtsreichsten Kandidaten für das Präsidentenamt. Gestern mutmaßte die Zeitung Wedemosti, Iwanow werde in den nächsten Tagen als neuer Premier eingeführt und damit eine Vorentscheidung der Kandidaten. Die Ente wurde anscheinend bewusst in die Welt gesetzt. Putin ist dafür bekannt, dass er sich in letzter Minute für „ungewöhnliche“ Lösungen entscheidet.