Flucht aus der Pflege

Mehr als 300 MitarbeiterInnen von ehemals staatlichen Heimen quittieren aus Frust ihren Dienst. Doch Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) bestreitet, dass es einen Notstand gebe

Die MitarbeiterInnen des privatisierten Landesbetriebs „Pflegen & Wohnen“, die das Unternehmen verlassen wollen, kehren nicht direkt zur Hansestadt Hamburg als Arbeitgeberin zurück. Stattdessen werden sie bei „Fördern & Wohnen“ angestellt, einer Anstalt öffentlichen Rechts im Besitz der Stadt. Fördern & Wohnen unterhält Einrichtungen für behinderte Menschen sowie Unterkünfte für Obdachlose und Flüchtlinge. EE

Die gestrige Behauptung von Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU), die Betreuung alter und kranker Menschen in den Pflegeheimen der Hansestadt habe sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich verbessert, wird durch aktuelle Zahlen widerlegt: Mehr als 300 Mitarbeiter der Pflegeheime quittierten aus Frust ihren Dienst.

Bis gestern haben 318 Angestellte des privatisierten Trägers „Pflegen & Wohnen“ erklärt, zum städtischen Betrieb „Fördern & Wohnen“ zurückzukehren. Am Samstag läuft die Meldefrist für die rund 1.000 Rückkehrberechtigten ab. Pflegen & Wohnen erwartet, dass sich insgesamt an die 350 Mitarbeiter aus den Heimen verabschieden werden.

Zum Jahresbeginn hat die Stadt ihre zwölf Alten- und Pflegeheime des damaligen Landesbetriebes Pflegen & Wohnen an das private Unternehmen „Vitanas“ verkauft, das sich nun „Pflegen & Wohnen Betriebsgesellschaft Vitanas“ nennt. Da die Stadt ihren Mitarbeitern nicht so ohne Weiteres einen neuen Arbeitgeber verpassen kann, wurde diesen das Recht eingeräumt, zur Stadt als Arbeitgeberin zurückzukehren – ähnlich, wie es beim Verkauf der städtischen Krankenhäuser an Asklepios geschehen ist. Dieses Recht haben rund 1.000 der insgesamt 1.600 Beschäftigten. Ein Drittel von ihnen macht davon Gebrauch.

Und zwar aus Frust über die Situation in den Heimen. „Viele Altenpflegerinnen wollen es nicht länger verantworten, an der Betreuung der Bewohner zu sparen, um Vitanas Rendite zu erwirtschaften“, sagt Angelika Detsch von der Gewerkschaft Verdi. Auch Angelika Stiller, Betriebsratsvorsitzende von Pflegen & Wohnen, bestätigt, dass gerade ältere KollegInnen nicht länger in diesem Beruf arbeiten wollen, den sie einmal ganz anders kennen gelernt hätten.

Seit Einführung der Pflegeversicherung sei es kaum mehr möglich, sich um die Heimbewohner im Einzelnen zu kümmern. Für Gespräche bliebe keine Zeit, Freizeitaktivitäten, wie kleine Ausflüge, stünden längst nicht mehr auf der Tagesordnung. Zudem sei das Personal in den vergangenen Jahren so weit reduziert worden, „dass ein privater Betreiber mit Pflegeheimen Gewinn machen kann“.

Der Geschäftsführer von Pflegen & Wohnen, Michael Bohn, versichert, dass das Unternehmen sukzessive alle freiwerdenden Stellen nachbesetzen wolle. Schon jetzt seien an die 100 neue MitarbeiterInnen unter Vertrag. „Wir brauchen die Kollegen“, sagt Bohn. „Wir haben heute die Mitarbeiter, die wir auch morgen brauchen.“

Andere Fachleute fürchten jedoch, dass es nicht möglich sein wird, genügend qualifizierte AltenpflegerInnen zu finden. „Es fehlen schon jetzt examinierte Pflegekräfte auf dem Arbeitsmarkt“, sagt Verdi-Expertin Detsch. Ambulante Dienste etwa müssten schon jetzt monatelang suchen, ehe sie eine qualifizierte Mitarbeiterin fänden.

Der Beruf sei so unattraktiv geworden, dass sich nur noch weit weniger junge Menschen darin ausbilden lassen würden, als vonnöten sei. Die Arbeitsbedingungen seien hart, der Verdienst schlecht. Früher sei es für viele ein Anreiz gewesen, dass sie alten Menschen mit ihrer Arbeit helfen wollten. Seit Einführung der Pflegeversicherung aber sei auch dieser Anreiz weggefallen. „Für Gespräche mit den alten Leuten bleibt im Alltag gar keine Zeit“, sagt Detsch.

Sozialsenatorin Schnieber-Jastram hatte am Mittwoch behauptet, das Personal in den Heimen sei in den vergangenen Jahren um sieben Prozent aufgestockt worden. In der Pflege am Menschen aber, sagt Detsch, „sind diese sieben Prozent nicht angekommen“.