Muslime in der Gesellschaft

Für die Integration der islamischen Bevölkerung sind Vorbilder wichtig, stellt eine EU-Studie zum Thema Islam und Europa fest. In Bremen gibt es immerhin fünf Muslime in der Bürgerschaft

Von Klaus Wolschner

15 Millionen Menschen mit einem „islamischen“ Migrationshintergrund leben in der Europäischen Union, drei bis vier Prozent der Gesamtbevölkerung. In manchen Großstädten sind es zehn Prozent. Ein Thema, dem sich Europa nicht verschließen darf, fand die Bremer EU-Abgeordnete Helga Trüpel und beantragte für den Kulturausschuss der EU ein Gutachten zum Thema. Die europäischen Christdemokraten hätten das im ersten Anlauf blockiert, berichtete Trüpel gestern, inzwischen liegt der 170-seitige Bericht vor. Spannend ist der Vergleich der Problemlage in den verschiedenen Mitgliedsländern. In den baltischen Staaten zum Beispiel gibt es kaum Muslime, während in den Beitrittskandiaten auf dem Balkan ein „europäischer“ Islam anzutreffen ist. In Ländern wie Frankreich hat die Einwanderung viel mit der Kolonial-Tradition zu tun. Wer in Deutschland glaubt, die Integrationsprobleme seien Sprachprobleme, kann von Frankreich lernen, dass das nicht reicht.

Im europäischen Vergleich gibt es im Grunde nichts, was es nicht gibt, die Vielfalt im Umgehen mit der islamischen Kultur ist beeindruckend. In England schüttelt man nur den Kopf über deutsche Kopftuch-Debatten. Insbesondere die „kolonialistische“ Hoffnung, Muslime würden die überlegene westliche Kultur in Europa spätestens annehmen, hat sich nirgends bestätigt. Im Gegenteil, stellen die Autoren der Studie fest: Überall gibt es eine „Krise der männlichen Identität“ in der zweiten Migranten-Generation. Der Grund: In Europa fehlen Vorbilder für islamische Jugendliche.

Die bremische Bürgerschaft mit ihren fünf Abgeordneten ist da fast schon vorbildlich. Für Sirvan Cakici von der Linkspartei ist der Spracherwerb ganz wichtig und der „Respekt“ vor der islamischen Kultur. Aber der Respekt, findet sie, sollte da seine Grenzen haben, wo es die Integration der Kinder behindern könnte. „Ich bin Moslem, aber das bedeutet nicht, dass ich nicht schwimmen oder feiern gehe.“

Zahra Mohammadzadeh (Grüne) hat sich schon als Referatsleiterin beim Gesundheitsamt mit den besonderen Problemen von Migranten im Gesundheitswesen befasst. Wird auf Essensregeln im Krankenhaus Rücksicht genommen, werden Pflegekräfte „interkulturell“ fortgebildet? Sie lebt seit 30 Jahren in Deutschland, hat „zwei Heimaten“, streitet dafür, Vielfalt zu akzeptieren. Das betrifft auch den Bau von Gotteshäusern, also Moscheen, sagt sie. Alle Religionen verändern sich historisch, niemand würde heute das Christentum mit der Haltung der Kirchen zum NS-Staat identifizieren, und so hat sie keine Sorge, dass Islam und Europa einmal gut zusammenpassen werden.

Insbesondere unter Muslimen gibt es „heftige Debatten“ über die Erscheinungsformen des Islam, sagt Mustafa Öztürk, grüner Bürgerschaftsabgeordneter. Für ihn ist klar, dass die Normen des Rechtsstaates bei allen Bemühungen um Integration respektiert werden müssen. Dazu gehöre aber auch die Religionsfreiheit. Aber solange die meisten Immame kein Deutsch sprechen, sei der Dialog schwierig. Auch der EU-Bericht fordert das Angebot der Immam-Ausbildung auf europäischem Universitäts-Niveau.

Mustafa Güngör, der Sozialdemokrat, bezeichnet sich selbst als „praktizierenden“ Muslim. Aufgewachsen ist er in einer Gemeinde, die zu Milli Görüs gehört. „Es hat mir nicht geschadet“, sagt er. Dass die vom Verfassungsschutz beobachtet werden, sei genauso absurd wie die Beobachtung der Linkspartei, mit denen er jetzt im Parlament sitzt. In einer Zeit, in der Schreckensmeldungen immer neue Ängste und Vorurteile produzieren, müsse man aufeinander zugehen. Er ist froh, dass der neue Innensenator es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Sensibilität seiner Beamten gegenüber Migranten zu erhöhen. „Wir müssen akzeptieren, dass wir in einer multikulturellen Gesellschaft leben“, sagt er. Und: „Ich fühle mich in beiden Kulturen wohl.“