Alles, nur kein Jazzkeller

Am Samstag feiert Hamburgs ungewöhnlichster Jazzclub mit einem Festival seinen Geburtstag. Im alten Stellwerk-Lehrsaal im Harburger Bahnhof steht seit zwei Jahren Improvisiertes auf dem Programm

Dieser Titel zieht auf jeden Fall Aufmerksamkeit auf sich: „JAZZ SQUARE into your face 07“ schreit es von den orangenen Plakaten. Der Jazzclub im Stellwerk lädt zu einem kleinen Festival ein und lässt es krachen, mit gutem Grund: Seit zwei Jahren schon gibt es den Konzertraum mit dem preisgekrönten Programm.

Drei Bands werden am Samstagabend das Stellwerk zum Kochen bringen. Denn „Groove geht immer“, sagt Heiko Langanke, der Wert darauf legt, nicht als Chef des Jazzclubs bezeichnet zu werden, auch wenn viele Fäden bei ihm zusammenlaufen. Aus dem Umfeld der Essener Folkwang-Hochschule kommt das Septett „Oma Heinz“ angereist, ihre Musik ist „M-Base“. Der Altsaxophonist Steve Coleman übersetzte das einst als „Macro-Basic Array of Structured Extemporization“ und meinte damit ein freies Spiel in einem Rahmen aus Rock, Jazz und Funk. Die Kölner Band „Balance“ kommt ohne solchen Überbau zurecht, mischt aber genauso Jazz mit der Musik unserer Tage, diesmal Drum’n’Bass, Ambient und Jungle. Da überzeugt schon die Hörprobe auf der Homepage des Jazzclubs Stellwerk. Den Auftakt schließlich werden die jungen Hamburger von der „Paul-Schmidt-Band“ geben. Das Quintett hat natürlich auch „Jazzrock und Funkgrooves“ auf die Playlist gesetzt.

„Zum Geburtstag darf man sich ja mal was wünschen“, erklärt Langanke das Festival-Programm. Es ist die Ausnahme von der Regel, dass das Stellwerk zum Jubiläum Bands präsentiert, die man aktiv eingeladen hat. Denn eigentlich beschränkt sich der Förderverein Jazzclub Hamburg e. V. darauf, das Stellwerk als Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Die Konzerte folgen also nicht dem Geschmack eines Programmgewaltigen. Im Gegenteil: Bands aller Jazz-Couleurs vereinbaren Termine, spielen und erhalten die Einnahmen der Abendkasse. Am Tresen des Jazzclubs verkaufen Ehrenamtliche Bier, Wein und Wasser. Diese Einnahmen ergänzen die Beiträge der Fördervereinsmitglieder zur Deckung von Unkosten wie Gema, Künstlersozialkasse und Hotelzimmer. Und obwohl ein Konzert hier also keine feste Gage verspricht, ist das Stellwerk zur Anlaufstelle für Bands aus ganz Deutschland geworden, die in Hamburg auftreten wollen. Dazu zählen auch Stars wie der italienische Schlagzeuger Aldo Romano oder der Saxophonist Peter Brötzmann. Und nicht wenige wollen ihr Gastspiel im Stellwerk wiederholen. Vielleicht, weil ihnen hier nicht ein Veranstalter im Nacken sitzt, der sich Sorgen um das Publikum macht.

Denn der Jazz in Hamburg ist ein Problem. Zumindest konnte dieser Eindruck bei der Podiumsdiskussion entstehen, zu der das Stellwerk am Montag eingeladen hatte. Kultursenatorin Karin von Welck war gekommen, um mit den Jazzclub-Betreibern von Stellwerk und Birdland, den Jazzpädagogen Prof. Hermann Rauhe und Dieter Glawischnig, der Geschäftsführerin des Jazzbüro e. V., Frau Grunewald von der in der Förderung engagierten E. A. Langner Stiftung und zwei Aktiven von der Musikerinitiative Jazzhaus e. V. zu erörtern, was getan werden könne, um den hanseatischen Jazz aus seinem „Schattendasein im Glanz der Kulturmetropole“ zu erlösen. Und während zu Recht das fehlende Interesse eines breiteren Publikums beklagt wurde – mehr Werbung und besserer Musikunterricht sollen hier helfen – kam immer wieder die Forderung nach Vernetzung der Jazzszene auf den Tisch. Denn so lobenswert das jeweilige Engagement Einzelner auch ist, jeder scheint für die Probleme des Jazz selbst die beste Lösung zu kennen. Wirklich konkret wurde nur Gabriel Coburger. Als Musiker gefragt, was dem Jazzleben in Hamburg fehle, war seine Antwort einfach: ein Veranstaltungsraum für etwa 250-500 Zuschauer mit den entsprechenden „Vibes“ und einer soliden Finanzierung für Konzerte internationaler, zeitgenössischer Musiker, die weder einen Platz in herkömmlichen Jazzclubs finden, noch in die Musikhalle oder gar Elbphilharmonie gehören.

Das Stellwerk könnte ein erster Schritt auf dem Weg zu einem solchen Raum sein: Hier findet Metropolenmusik wie z. B. von „Oma Heinz“ ein urbanes, S-Bahn fahrendes Publikum, das zivile Preise zu schätzen weiß. TOBIAS RICHTSTEIG

Festival: Sa, 15. 9., 20 Uhr, Jazzclub im Stellwerk, Hannoversche Straße 85