Real existierendes Patriarchat

betr.: „Wenn Ehen zum Gefängnis werden“, taz vom 11. 9. 07

Die Vorstellung der neuen Studie aus dem Deutschen Institut für Menschenrechte zur „Zwangsheirat“ befördert – es gehört deutlich und lobend gesagt – das Nachdenken über Strukturen und Interdependenzen wesentlich besser als beispielsweise die kürzlich veröffentlichte Rezension zu einem Buch mit christlichem Hintergrund („Die Frau als Gebrauchswert“, Claudia Pinl zu Hiltrud Schröter: „Das Gesetz Allahs. Menschenrechte, Geschlecht, Islam und Christentum“, taz Magazin vom 1. 9. 07, d. Red.), die uns mal wieder den ollen Müll über die Unvereinbarkeit von Feminismus und Islam präsentierte. Allerdings hätte ich mir die Überschrift noch deutlicher gewünscht.Was heißt denn das: Schuld ist nicht die Religion, sondern ein patriarchalisches Familienbild?

Mit Verlaub, ein solches haben wir fast alle. Das, welches wir mit der „Zwangsheirat“ verbinden, ermöglicht uns nur, unser eigenes und dessen Zwangsheirat zu vergessen. Dass es aber durchaus noch vorhanden ist, und zwar als unser eigenes, tritt beispielsweise im Ausländerrecht bei den Nachzugsregelungen zu Tage. Oder da, wo die Integration junger Muslima daran festgemacht wird, ob sie mit oder ohne Hijab erscheinen. Womit ich nicht dafür plädiere, nun den Knödels immer in die Hose zu gucken, ob sie beschnitten sind. Sondern dafür, unsere Vorstellungen über Integration junger (und alter) Frauen (und Männer) zu befragen. Beispielsweise darauf, was sich dahinter versteckt, wenn die Muslima ohne Hijab uns das Gefühl vermittelt, sie sei „besser zu haben“ – ganz so, wie wir es auch gern und wohlmeinend über kleine Kinder sagen.

Oder auch darin, dass neben der Vorstellung dieser Studie die epd-Meldung zu lesen ist, die Geburtenrate in Deutschland sei erneut gesunken, auf 1,33 Kind pro Frau. Potzblitz aber auch! Welches Bild vermittelt mir denn dieses?

Wir leben im immer noch real existierenden Patriarchat. Das war für Marginalisierte schon immer weniger komfortabel als für die Mittendrin. Wobei Letztere an der geringeren Komfortabilität der Lebensverhältnisse für Erstere auch noch nie gänzlich unschuldig waren. CHRISTINE RÖLKE-SOMMER, Berlin