WENN SICH, ZUM BEISPIEL NACH EINEM HÜHNER-FUTTER-CHEMIE-SKANDAL, HÄME AUF BIO-PRODUZENTEN UND -KONSUMENTEN ERGIESST, DANN ENTSTAMMT SIE AUCH SCHLECHTEM GEWISSEN
: Konsumenten aus Bodenhaltung

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Unter einem Skandal geht es in den Schlagzeilen nicht ab, wenn etwas aufgedeckt wird, was für den konventionellen Landwirt ganz normal ist – Chemierückstände von Pflanzenschutzmitteln in Tierfutter zum Beispiel. Im Dezember vergangenen Jahres wurden bereits 18 Betriebe in Niedersachsen gesperrt, weil dort kontaminiertes Futter verfüttert wurde. Jetzt sind wieder zwei Legehennenbetriebe in der Grafschaft Bad Bentheim betroffen: Sechs Wochen dürfen sie ihre Bio-Eier nicht mehr als Bio-Eier verkaufen, weil das Bio-Futter, das sie an ihre Bio-Hühner verfütterten, nicht Bio war, sondern eben mit solchen Pflanzenschutzmitteln belastetes Futter.

Das Futter stammte aus der Ukraine, es handelte sich um Bio-Sonnenblumenpresskuchen. Warum müssen niedersächsische Hühner eigentlich Sonnenblumenkerne aus der Ukraine fressen? Ist das Bio, Futter so weit zu transportieren? Und wenn Futter über die Ukraine und die Niederlande dann nach Niedersachsen kommt, ist es noch durchsichtig, wie es produziert wird? Auf jeden Fall wird es schwieriger.

Die Bioverbände sagen, die Bauern hierzulande sind auf den Zukauf von Futtermittelbestandteilen aus dem Ausland angewiesen, weil nicht genügend Futter in Deutschland angebaut wird oder angebaut werden kann, und die Bauern müssen darauf vertrauen können, dass sie hochwertiges Futter bekommen. Dass das manchmal schiefgeht, so wie alles schiefgehen kann und dass nicht alle und jeder zuverlässig arbeiten, das ist wohl so, in jeder Branche und immer, wenn mit irgendetwas Geld verdient wird. Dagegen helfen nur Kontrollen und weil es die eben gab, ist der „Skandal“ erst ans Licht gekommen. Der Hühnerzüchter am Ende der Futtermittelkette steht als unzuverlässig da, und der wetternde Bio-Hasser hat es schon immer gewusst: „Bio ist alles nur Betrug.“

Das ist natürlich falsch und es ist sogar sehr dumm. Denn die ökologische Landwirtschaft ist kein Betrug, sondern bedeutet einen ehrlicheren Umgang mit gemeinschaftlichen Resourcen, wie Luft, Boden, Wasser, und einen etwas besseren Umgang mit Tieren. Sie bedeutet etwas reellere Preise für qualitativ hochwertige Lebensmittel – meistens zumindest. Manchmal stimmt das nicht, manchmal drückt einer ein Auge zu, wenn er etwas sieht, was so nicht sein soll, manchmal kontrolliert einer zu lasch und manchmal will einer auch gar nicht mehr kontrollieren, weil es etwa um Geld geht und um Existenzen. Das ist dann schon Betrug.

Die meisten Bio-Bauern allerdings arbeiten hart und werden streng dabei geprüft. Ihnen allen Betrug vorzuwerfen, ist bösartig und entspringt einer anderen Quelle. Ich vermute, dass die Häme, die sich von einem Teil der Bevölkerung auf die Bio-Produzenten und -Konsumenten ergießt, zum Teil ihrem schlechten Gewissen entspringt: Wenn nämlich einer einem etwas vorlebt, was richtig ist, und wenn man selbst nicht dazu bereit ist, dann kann es sein, dass man diesen anderen dafür zu hassen beginnt, allein schon, weil man meint, der andere hätte etwas in der Hand, um auf einen herabzusehen, auch wenn er das gar nicht tut.

Die vom niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz durchgeführten Untersuchungen der Hühnerfutterproben haben in ihrer Konsequenz keine lebensmittelrechtliche Relevanz: Die betreffenden Eier können jetzt durchaus noch verkauft werden, zwar nicht als Bio-Eier, aber immerhin als Eier aus Bodenhaltung. Was kann man über konventionelle Eier daraus schließen? Kein Skandal: Konventionelles Hühnerfutter enthält fast immer Chemierückstände. Darauf können sich die Leute verlassen. Das ist kein Betrug. Wenn sie das freut, wenn sie sich da besser behandelt vorkommen, wenn ihnen diese Gewissheit einen Frieden gibt, dann sollen sie so einkaufen. So ein Ei kriegt man schon für ungefähr zehn Cent. Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 bei Rowohlt. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.