Fiebrige Freiheit mit Lustprinzip

KRAUTROCK Nach den opulenten „Goldstein Variationen“ bleibt die Station 17 auf ihrem Album „Fieber“ ganz bei sich. Herausgekommen ist eine ganz eigene Klangästhetik

Gesang und Texte gibt es nur da, wo jemand Lust hatte, zu singen oder zu sprechen – und das war diesmal selten

von Robert Matthies

„Es ist schön, in einer Gruppe zu musizieren mit Menschen, die sich überhaupt keine Songstrukturen merken können oder wollen“, freute sich Gitarrist und Bassist Peter Tiedeken nach den Aufnahmen von „Fieber“, dem aktuellen Album seiner Band Station 17. Nichts folgt hier einer vorgefertigten Vision, kein Konzept engt die Band ein, alles bleibt Momentaufnahme, reine Intuition, nie reproduzierbar. Und genau das ist das Spannende: „Man wird gezwungen, die Kontrolle zu verlieren und auf jede Form von gewohnter Struktur zu verzichten.“

Zwei Wochen hatte sich die heterogene Gruppe auf einem Hof im Wendland eingerichtet und nach Lust und Laune musiziert, gedichtet, spontan kommentiert oder sich einfach unterhalten. Überall standen Mikrofone, Instrumente, Soundtools und andere Geräte bereit, um jede nur erdenkliche Situation in Musik zu verwandeln, mal verfremdet, mal ganz ungefiltert. Zusammengemischt hat das Ganze hinterher niemand Geringeres als Tobias Levin.

Dabei entwickelt die Band, die Kai Boysen 1988 mit BewohnerInnen der Wohngruppe 17 der Stiftung Alsterdorf und professionellen MusikerInnen gegründet hat, erneut jenseits jeglichen Gutmenschen-Gestus‘ ihre ganz eigenwillige Klangästhetik. Hatte Station 17 noch zu Beginn deutliche Bezüge zur Hamburger Schule, standen bald Kollaborationen mit einer ganzen Reihe von Elektronik- und Hip-Hop-Künstlern auf dem Programm. In den 90ern arbeitete Station 17 unter anderem mit renommierten Produzenten wie Holger Czukay (Can), F. M. Einheit (Einstürzende Neubauten) und Thomas Fehlmann (Kompakt-Label, The Orb) zusammen, seit einigen Jahren gibt es sogar ein eigenes Label, „17rec.“.

Mit den opulenten „Goldstein Variationen“ hatte die ungewöhnliche Band dann vor rund drei Jahren ihren 20-jährigen Geburtstag ausgiebig gefeiert. Dafür hatte die komplett neu zusammengesetzte Gruppe mit über 30 Gastmusikern zusammengearbeitet, von Fettes Brot über Guildo Horn, Stereo Total, The Robocop Kraus, Ted Gaier (Goldene Zitronen), Melissa Logan (Chicks On Speed) bis Barbara Morgenstern, der Knarf Rellöm, Michael Rother und Schneider TM.

Mit „Fieber“ schlägt die Station 17 wieder eine ganz neue Richtung ein. Entstanden sind die elf Songs als Verdichtungen und Schnitte von offenen Situationen und Augenblicken, als Entwürfe, das selten greifbare „Fieber“ der Gruppe zu fassen. Nicht zuletzt deshalb ist das Album über weite Strecken instrumental und zeichnet sich durch eine in dieser Unmittelbarkeit lange nicht mehr gehörte Krautrockigkeit aus. Gesang und Texte gibt es nur da, wo jemand Lust hatte, zu singen oder zu sprechen – und das war diesmal nun mal selten. Dabei darf man durchaus hoffen, dass ein paar Songstrukturen doch erinnert werden, wenn Station 17 am Sonntag in der Schwankhalle auftreten.

■ Sonntag, 20 Uhr, Schwankhalle