Die Dinge haben Ohren

ABHÖRSTÜCK Vom Eindringen der Technik in private Sphären: „Lauschangriff“ auf norddeutschen Bühnen

Stop. Zurückspulen. Play. Die 1970er-Jahre, Ära der schleichenden Paranoia: In der Bundesrepublik gründet sich die RAF, in den USA kommt Präsident Nixon über die Watergate-Affäre zu Fall. Es sind Bücher und Filme, die die Stimmung jener Jahre für die Nachwelt konservieren. 1975 beschrieb Michel Foucault in „Überwachen und Strafen“ die Gesellschaft als dezentralisiertes Netz gegenseitiger Kontrolle: Die Sichtbarkeit macht jeden Einzelnen zum „pausenlos überwachten Überwacher“.

Nur ein Jahr zuvor hatte bereits Francis Ford Coppolas Film „The Conversation“ diese düstere Diagnose zum Thema: Über die Figur eines isolierten Einzelgängers – des Abhörspezialisten Harry Caul – erzählt er vom paranoiden Gefühl einer anschwellenden, systemischen Bedrohung. Eine gekonnte Variation hat nun Gero Vierhuff auf die Theaterbühne gebracht.

Auch das Stück „Lauschangriff“ dreht sich um die Figur des professionellen Abhörers Harry Caul (Stephan Möller-Titel). Den würde man heutzutage wohl einen genialen „Geek“ nennen – eine Koryphäe in seinem technischen Metier, aber eben auch nirgends sonst. Prächtig läuft sein Geschäft als Wanzenleger, und eigentlich will Caul nur seine Arbeit erledigen. Was er da heimlich aufnimmt, sind für ihn keine Menschen, sondern Stimmen, die er als „asymptotisch störungsfreie Klangbilder ohne Leerstellen“ seinen Auftraggebern auszuhändigen hat.

Knisterndes Gewissen

Doch niemand als der Überwachungsexperte selbst weiß besser um die permanente Anstrengung, die es erfordert, diskret zu sein: Verfolgungswahn als Berufskrankheit. Als Caul erfährt, dass eines seiner Tonbänder womöglich zur Planung eines Mordes dienen könnte, fällt es ihm schwer, den Inhalt seiner Aufzeichnungen zu ignorieren.

Immer lauter dringt eine andere Stimme zu ihm durch, sich als Rückkopplungseffekt auf Dauerschleife: das Knistern und Knacken des eigenen Gewissens. Er beginnt die Bänder nach weiteren Hinweisen abzuhören. Horcht tief in den Abgrund hinein, der sich vor ihm auftut, bis dieser in ihn hineinzuhorchen beginnt. Die Dinge haben Ohren.

Zumal in der Intimität einer kleinen Bühne kommt einem das intelligent inszenierte, moralische Psycho-Drama erstaunlich nah. Die zentralen Motive des Films werden zitiert, erhalten aber eine verstärkte, verblüffend eigenständige Bildkraft. Stephan Möller-Titels zittriger, unter die Haut gehender Intensität stehen Oliver Dressel und Christopher Weiß in nichts nach.

Vor allem Karen Köhler aber fächert mit ansteckender Spielfreude ein Panorama weiblicher Figuren auf, das in dieser konzentrierten Abfolge allein schon einen Besuch dieses Gastspiels wert ist. DEE-UNG MOON

weiter Aufführungen: Samstag und Sonntag, Lichthof-Theater Hamburg; 2., 4.–6. 11., Theaterhaus Hildesheim. 25./26. 11., 2./3. 12., Lot-Theater Braunschweig