Grundgesetz: Zensur findet nicht statt. Wirklich?

Es gibt ein paar Regeln, an die man sich halten sollte, wenn man es sich nicht mit allen verscherzen will. Erstens: Zahnpastatuben werden gerollt. Zweitens: Gasöfen sind nach Benutzung auszustellen. Und drittens: Eine Zensur findet nicht statt. Ersteres ist einfach so, Zweiteres ist wirklich besser so, und die dritte Regel steht im Grundgesetz, Artikel 5 - und wird auch umgesetzt.

Es ist kein Fall bekannt, in dem JournalistInnen in Deutschland bei oder wegen ihrer Arbeit umgebracht würden, dass ihnen nur wegen unliebsamer Berichterstattung Strafen drohten, oder dass Medienerzeugnisse zensiert würden, weil mächtigen Menschen die Tendenz missfiele. Doch es gibt subtilere Methoden als direkte Zensur, und die finden durchaus Anwendung. Die Fälle etwa, in denen Unternehmen wegen negativer Berichterstattung Anzeigen stornierten, häufen sich. Zuletzt warf die WAZ-Gruppe etwa dem Konzern RAG vor, kritische Berichte über RAG-Chef Werner Müller mit Anzeigenentzug bestraft zu haben. Die Deutsche Bahn zog einmal Anzeigen in Capital zurück, die Lufthansa kündigte ihre Bordabonnements der Süddeutschen Zeitung.

Als ein Karikaturist des Tagesspiegel iranische Fußballer einmal mit umgebundenen Sprengsätzen zeichnete, bekam er Morddrohungen - es gab ein Missverständnis bei der Interpretation. Und als ein Autor des Magazins Cicero aus einem Dokument des Bundeskriminalamts zitierte, wurde die Redaktion durchsucht, und Computer wurden beschlagnahmt. Der Vorwurf: Beihilfe zum Geheimnisverrat. Cicero gewann vor dem Bundesverfassungsgericht - doch fünf Monate später wurde erneut mehreren JournalistInnen Beihilfe zum Geheimnisverrat vorgeworfen. Das mag keine Zensur sein, aber es ist Einschüchterung. Solche Druckmittel sind, unabhängig von ihrem Erfolg, Versuche der Einflussnahme auf die Medien. Sozusagen Versuche von vorbeugender Zensur. Klaus Raab