IM HEIZKRAFTWERK
: Ufos über Mitte

Zack, rein in das Nasenloch eines Fans in Reihe eins

Ich fahre die Köpenicker Straße Richtung Mitte runter, kühle Luft kriecht knapp über den Pedalen meine Hosenbeine hinauf, drüben in einem türkischen Kulturverein spielen sie Karten unter Neonlicht. Das „Trafo“ suche ich, das ehemalige Heizkraftwerk Berlin-Mitte, da sollten – bevor der Papst die Stadt entert – dEUS höchstpersönlich aufspielen.

Gespannter aber bin ich fast noch auf das Gebäude, im Internet als gewaltiger alter Industriekoloss zu besichtigen. „Da hinten müsste es sein“, weist mir ein Fußgänger den Weg. „Ich will da auch hin.“ Tatsache, da hinten die Traube, die Richtung Beton drängt, der Menschenhaufen vor den Schloten, der muss es sein.

Kryptische Zeichen weisen den Weg ins Innere, „Reduzierstation 1 – 2“ steht da geschrieben, und kaum betrete ich dieses Monstrum, fühlt es sich an, als würde ich mich in den Dimensionen auflösen. Die endlose Tiefe des Raumes – kein Günter Netzer der Welt würde gegen diese betonierte Geradlinigkeit anstinken können. Alleine wäre ich gerne jetzt, allein im Koloss, allein in der Endzeit. Aber Event ist angesagt, die Leute strömen zu dEUS, Art Brut und The Blood Arm hinein. Ein Fernsehsender präsentiert das Ganze.

Auf drei Bühnen spielen die Bands abwechselnd – hier zwei Songs, da zwei Songs. Sie machen, was Rockbands seit Jahrzehnten machen, sie sagen, was Rockbands seit Jahrzehnten sagen. „We love Berlin.“ So weit, so unspannend. Aber was schwebt da über uns? Krass. Seilauf-, seilabfahrend schwebt eine Kamera ufogleich über die Köpfe hinweg – zack, zur Band hin, zack, in das Nasenloch eines Fans in Reihe eins zoomend. Großartig. „Hat halt Geld, der Sender“, raunt mir mein Nachbar zu. Und so, während die Bands solide, aber wenig zukunftsgewandt vor sich hinplänkeln, geht der Blick nach oben, wo nur dieses kleine digitale Gerätchen seine Runden dreht und uns beim Zugucken zuguckt.JENS UTHOFF