Körperliche Ressourcen sind nicht unendlich

BURN-OUT Arbeiten, wo man steht und geht – das führt direkt in den Zusammenbruch. Anthroposophische Therapien helfen ausgebrannten Urban Professionals mit alternativen Ansätzen

■ Alternative Heilmethoden haben es schwer in Deutschland, zumindest wenn man nicht privat versichert ist. Seit 2004 werden die Kosten für nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel von den Krankenkassen nicht mehr erstattet. Betroffen davon sind nicht nur homöopathische und pflanzliche Arzneimittel, sondern auch anthroposophische Präparate. Allerdings gibt es wichtige Ausnahmen bei schwerwiegenden Krankheitsbildern, so etwa bei Mistelpräparaten für die Krebstherapie.Mittlerweile bieten einige Krankenkassen die anthroposophische Medizin im Rahmen der „Integrierten Versorgung“ an. Bei diesem Konzept schließen Ärzte, Therapeuten und Krankenhäuser untereinander Verträge ab, um medizinische Behandlungen aus einem Guss anbieten zu können. Damit sollen etwa Doppeluntersuchungen oder Klinikaufenthalte vermieden und somit Kosten gespart werden. Nimmt der behandelnde Arzt an der Integrierten Versorgung teil, können etwa anthroposophische Therapien direkt über die Versicherten-Chipkarte abgerechnet werden.In vielen Fällen können Versicherte zudem über zuzahlungspflichtige Wahltarife in den Genuss alternativer medizinischer Konzepte gelangen. Über die Zusatzprämie sind dann bei bestimmten Krankenkassen auch Therapierichtungen wie die anthroposophische Medizin in den Versicherungsschutz mit eingeschlossen. Weitere Infos zu Kliniken, Ärzten und Erstattungsmöglichkeiten finden sich auf der Webseite des Dachverbands anthroposophische Medizin in Deutschland (www.damid.org).

VON HEIDE REINHAECKEL

Fußballtrainer haben es, Spitzensportler, Manager und Karrierefrauen ebenfalls: Burn-out. Eine Studie der Bundespsychotherapeuten-Kammer zeigte vor Kurzem generell einen kontinuierlichen Anstieg seelischer Erkrankungen bei Arbeitnehmern. Wie keine andere Erkrankung steht gerade Burn-out in Beziehung zur modernen Arbeitswelt. Im Zeitalter von Smartphones und Laptops kann schließlich immer und überall gearbeitet werden.

Am Anfang zeigen viele Burn-out-Erkrankte ausgeprägtes berufliches Engagement, hohe Leistungsbereitschaft, ja nahezu eine Überidentifizierung mit ihrem Job. Doch die körperlichen Ressourcen sind nicht unendlich verfügbar. Irgendwann kommt es zu innerer Erschöpfung, zu Motivationslosigkeit und emotionaler Verflachung. Dazu stellen sich psychosomatische Reaktionen wie beispielsweise Schlafstörungen und erhöhter Blutdruck ein. Der Missbrauch leistungssteigender Medikamente verschlimmert den Zustand oft noch zusätzlich.

Hilfe finden Betroffene mit Burn-out-Erkrankung auch in Einrichtungen, die sich einer integrativen Medizin mit anthroposophischen Elementen verschrieben haben. So etwa am Krankenhaus Lahnhöhe in der Nähe von Koblenz. Chefarzt am dortigen Überregionalen Zentrum für Psychosomatische Medizin und Ganzheitliche Heilkunde ist Henning Elsner. Burn-out ist für ihn eine moderne Metapher für das, was er „Passungsverlust“ nennt: „Dabei geht es um Erkrankungen, die früher als Erschöpfungsdepression oder dysfunktionale Störungen bezeichnet wurden“, so der Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie.

Viele haben das Gefühl, nur noch ein Rädchen im Getriebe zu sein

„Burn-out-Patienten erleben eine Überflutung mit Wahlmöglichkeiten, eine Verstopfung der Sinneskanäle, kurz eine kognitive Überforderung. Sie müssen erst wieder erlernen, sich in sich selbst zu reorientieren“, sagt Elsner. Das Krankenhaus Lahnhöhe bietet Betroffenen eine integrative psychosomatische und psychotherapeutische Behandlung, die Ansätze einer anthroposophisch erweiterten Medizin einbezieht. Ein Aspekt stehe dabei im Vordergrund: „Wir wollen keinen Problemtalk, sondern lösungsorientierte Ansätze. Die sinnlichen und leiblichen Wahrnehmungen sollen angeregt werden, wenn dann Schlüsselerfahrungen eintreten, kann man mit diesen reflexiv arbeiten.“

Burn-out-Betroffenen gehen durch den Dauerstress Körpererfahrungen verloren. Um diese wieder anzuregen, setzt man im Krankenhaus Lahnhöhe besonders auf künstlerische und körperorientierte Aktivitäten. Dazu gehört etwa Kunsttherapie, Plastizieren und Sprachgestaltung. Der stationäre Aufenthalt ermöglicht eine therapeutische Gemeinschaft: „Die Aufgabe der Ärzte, Therapeuten und Pflegenden ist es, zusammen ein heilsames Milieu zu schaffen, und damit das zu ermöglichen, was wir Beziehungsmedizin nennen“, erklärt Elsner. Niedrigschwellige Angebote wie ein offenes Atelier als Ort für künstlerische Arbeiten unterstützen dieses Konzept. Für das nächste Jahr ist zudem der Ausbau der Nachsorgestruktur geplant. Denn die besondere Herausforderung für die Patienten besteht darin, Herausforderungen und Impulse aus dem Klinikalltag mit in die Arbeitswelt zu nehmen. Während des durchschnittlich vierwöchigen stationären Aufenthalts auf der Lahnhöhe legen die Patienten eine bewusste Medienpause ein. Fernsehen, Radio oder Internet sind daher tabu.

Etwas länger, nämlich sechs Wochen, dauert normalerweise die Behandlung von Burn-out-Betroffenen im Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke. Thomas Haag ist dort Leitender Arzt der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Auch für ihn ist Burn-out ein Sammelbegriff für ein weit verbreitetes Syndrom: „Viele haben das Gefühl, nur noch ein Rädchen im Getriebe zu sein und nichts selber gestalten zu können. Die Menschen erleben zunehmend einen Verlust von Gestaltungsfreiräumen.“

Hilfe suchen können Burn-out-Patienten im anthroposophisch orientierten Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke auf den Abteilungen für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie für Psychiatrie und Psychotherapie. Sie durchlaufen dann in der Regel eine anderthalbmonatige lösungs- und handlungsorientierte Therapie. Parallel zu Einzel- und Gruppentherapien geht es dabei um die Anregung der Gestaltungskräfte. Dafür steht ein breiten Spektrum an künstlerischen Therapien zur Verfügung, wie beispielsweise eine Maltherapie oder die Arbeit im Therapiegarten. Ein Ziel ist die Wiedergewinnung und Stärkung des seelischen und körperlichen Rhythmus.

■ Ob Heileurythmie, Misteltherapie oder rhythmische Massagen –die anthroposophische Medizin bietet ein ganzes Bündel von alternativen Ansätzen, um Krankheiten zu heilen und Beschwerden zu lindern. Mit dem neuen Markenzeichen „AnthroMed“ will der Verband anthroposophischer Kliniken nun die besondere Qualität solcher Angebote für die interessierte Öffentlichkeit deutlicher machen. Gleichzeitig will man auch Patienten die notwendige Orientierung bieten. Mehr als ein Dutzend Kliniken firmieren bereits unter dem Label „AnthroMed“, nachdem sie einen gegenseitigen Zertifizierungsprozess durchlaufen haben. In den Genuss der Kennzeichnung kommen aber auch Berufsgruppen wie die Heileurythmisten, und weitere Berufsgruppen sollen zukünftig ebenfalls von der Marke profitieren können, so etwa anthroposophische Pharmazeuten und Ärzte.

Dabei hilft ein klar strukturierter Tagesablauf mit festen gemeinsamen Mahlzeiten. Denn beim Burn-out-Syndrom spielt gerade der verloren gegangene Wechsel von Erholungs- und Aktivitätszeiten eine Rolle: „Menschen brauchen Rhythmen. Krankheiten sind auch Ausdruck der Störung der rhythmischen Tätigkeiten des Körpers“, so Haag. Helfen können dabei musikalische Rhythmen: Herdecke wurde 2009 als erste Einrichtung bundesweit von der Initiative „Singende Krankenhäuser“ zertifiziert. Ziel der resourcenorientierten multimodalen Behandlung ist es, die eigene Handlungsfähigkeit (wieder) zu finden und aktive, gesunde Strategien für den Umgang mit Belastung zu entwickeln. Wer ein Veränderungspotenzial in sich spürt, wird sich auch wieder als handlungsmächtig erleben.

Mittlerweile entstand auch eine neue Coachingbewegung. Unter dem Schlagwort „Burn-on“ bietet sie Burn-out-Prävention und Gesundheitsmanagement-Seminare an: Die Lebensflamme soll wieder so richtig auflodern. Die Wortschöpfung legt offen, was viele in puncto Burn-out ganz selbstverständlich voraussetzen: Ausgebrannt sein könne nur jemand, der sich vorher übermenschlich angestrengt habe. Doch dass nur Leistungsträger und High-Potentials ausbrennen können, hält Facharzt Henning Elsner für einen Irrtum: „Auch sozial schwächere Menschen leiden unter Passungsverlust, weil sie sich nicht in Zusammenhänge eingebunden erleben, die sie als sinnvoll empfinden.“