BLOCKIERTES HIRN
: Heute ist Qigong-Tag

Ich will mir abgewöhnen, in jeder freien Minute zu schreiben

„Muss los“, denke ich und klappe den Laptop zu mitten im Satz. „Du spinnst“, hat da gerade wer gesagt, aber warum da wer spinnt und was als Nächstes passiert, das bringe ich später zu Papier. Oder erst morgen, mal sehen. Ich will’s mir abgewöhnen, in jeder freien Minute zu schreiben, denn das hat schlimme Folgen. Dann stehe ich da auf der Straße und weiß nicht mehr, warum eigentlich; nur dass ich losmuss, kriegt mein Hirn gerade so noch hin. „Du spinnst“ lenkt mich ab, oder was auch immer ich gerade schreibe.

So auch jetzt. „Wohin?“, überleg ich, greife aber schon mal nach Jacke und Tasche. Wird schon stimmen, dass ich jetzt losmuss. Ich schaue schnell auf die Uhr und dann den Kalender. Alles klar: Heute ist Qigong-Tag!

Vor zwei Tagen war’s schlimmer: Da saß ich schon in der S-Bahn, als mir einfiel, dass U-Bahn ja echt praktischer wäre für da, wo ich hinwollte. Und die Adresse von da, wo ich hinwollte, hatte ich mir auch nicht gemerkt, nur wie’s aussah, mein Ziel: rote Tür, Altbau, linke Seite vor ’ner Kreuzung, irgendwo im Bergmannkiez. Dass ich’s gefunden hab, fand ich schon toll. Heut finde ich mich noch viel toller. Richtig stolz bin ich auf mich, und als meine Freundin anruft, gerade als ich das Rad aufschließe, töne ich los: „Bin unterwegs! Qigong und davor zu dir.“ – „Prima“, sagte sie. „Meine Yogahose hast du auch mit dabei?“ – „Klar“, sage ich und schließe das Rad wieder ab, gehe zurück ins Haus, suche die Hose, stecke sie ein. Sonst noch was? Kann schon sein, aber mehr als immer noch das „Du spinnst“ und was als Nächstes passiert in meinem Roman tut sich nicht in meinem Hirn. Erst als ich bei meiner Freundin ankomme, fällt es mir ein: Klar war da noch was. Ich packe aus, halte ihr die Hose hin, gebe sie aber nicht aus der Hand. „Ähm“, sag ich und werde etwas rot, „kann ich die gleich noch mal borgen? Für Qigong. Habe meine vergessen.“ JOEY JUSCHKA